Ich habe Angst. Jeden Tag. Mal mehr, mal weniger – aber doch immer. Über meine Ängste und solche im Allgemeinen habe ich bereits einen Beitrag geschrieben. Doch nun wirft sich die Frage auf: Können wir etwas aus unserer Angststörung lernen?
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Angst
und Panik – ein Gefühlsfeuerwerk
Angst
zu haben ist ein sehr unangenehmes Gefühl. So unangenehm, dass ich
zumindest inzwischen eine Angst vor der Panik entwickelt habe. Die
Panikattacke ist ein negativer Silvesterkracher – mit Feuerwerk und
knallenden Korken. Wenn sie ein Resultat zuvor bestehender Ängste
ist, dann haben sich diese solange potenziert und aufgestaut, dass
sich die Panik kaum mehr durch einen Realitätscheck
reduzieren lässt. Dann schrillen alle Alarmglocken, ohne noch einen
klaren Gedanken an das angstauslösende Thema fassen zu können.
Ein
Beispiel: Ich habe die EX-IN-Weiterbildung begonnen. Diese ist
ausgerichtet für Menschen mit Krisen- und Psychiatrie-Erfahrung, die
zu Genesungsbegleiter*innen in der Gesundheitsversorgung qualifiziert
werden.
Im
Rahmen dessen habe ich zuletzt große Ängste vor anstehenden
Praktika entwickelt. Jeden Tag musste ich daran denken. Doch als das
Thema aus meinem Kopf hinaus verbalisiert wurde und wir über die
Bedingungen sprachen, da hatte ich mich bereits so sehr in diese
Angst hineingesteigert, dass ich Panik bekommen habe. Mein Puls
raste, ich fing an zu schwitzen und musste schneller atmen. Bis es
vollends aus mir herausbrach. Die Dozentin ging mit mir vor die Tür,
beruhigte mich und machte mir ein Angebot für ein Praktikum, in dem
ich mich womöglich wohlfühlen könnte. Meine Gedanken reagierten
positiv darauf, doch mein Gefühl von Panik nicht. Dieses feuerte
ungeniert weiter und sorgte dafür, dass ich mich der Situation recht
hilflos ausgeliefert fühlte. Insgesamt hat es eine Stunde gedauert,
bis sich meine Gefühlswelt wieder beruhigt hatte und die
körperlichen Symptome nachließen.
Dann
wiederum gibt es Tage, an denen ich keinen kausalen Zusammenhang
für meine Angst finden kann. Ich schlage die Augen auf und merke,
wie sich meine Kehle zuschnürt. Auf meiner Brust liegt etwas
Tonnenschweres, das mich kaum atmen lässt. Solche Tage sind sehr
belastend, denn: Noch schlimmer, als den Grund zu kennen, der mir
Angst bereitet, ist den Grund nicht zu kennen, der mir Angst
bereitet. Ungewissheit und die Tatsache, die Situation nicht gänzlich
durchschauen zu können, bringt mich noch tiefer in diesen
Teufelskreis des Grübelns. Den gleichen Gedanken zigmal zu denken
ist schon anstrengend genug, wenn ich seinen Inhalt kenne. Bin ich
auf der Suche, dann sind die Gedanken unerträglich und sorgen,
zusätzlich zur Angst, für Frustration und Wut.
Warum
haben wir eigentlich Angst? Und was können wir aus ihr lernen?
Hin
und wieder Angst zu haben ist zunächst einmal total normal und
gesund. Sie warnt uns vor Bedrohungen und schützt uns davor,
unnötige Risiken einzugehen. In gefährlichen Situationen macht sie
uns leistungsfähiger, indem der Körper die Hormone Adrenalin und
Noradrenalin ausschüttet. Wenn die Angst jedoch häufig
überschießend ist, uns im Alltag einschränkt und unsere
Lebensqualität beeinflusst, dann spricht man von einer Angststörung.
Manchmal habe ich das Gefühl, als würden meine Ängste ein
Eigenleben entwickeln. Als würden sie in mir ihre kleine Welt
aufbauen und sich in meinem Körper ausbreiten und gemütlich
einrichten. Das also gehört ganz sicher nicht mehr zur gesunden
Angst.
Warum
manche Menschen ängstlicher sind, hängt von vielen verschiedenen
Faktoren ab. Genetik, Lebenserfahrungen, Persönlichkeit,… Doch
obwohl die überschießende Angst oft keinen Bezug mehr zu realen
Gefahren hat, so bin ich mir sicher, dass ich aus ihr lernen kann.
Dass sie mir etwas sagen will. Dass sie jedem, der unter einer Angst-
oder Panikstörung leidet, etwas sagen will.
Ich
habe extreme Verlustängste. Und ich verstehe, warum das so ist. Ich
durchschaue das Zustandekommen dieser Angst, die mich jeden Tag
begleitet und meinen Alltag beeinflusst. Doch ich habe lange nicht
erkannt, was sich in mir ändern muss, um den Verlustängsten
ihren lebensbeeinflussenden Schrecken zu nehmen. Inzwischen glaube
ich, dass ich lernen muss, mir selbst so sehr zu genügen, dass ich
trotz eines schweren Verlustes den Willen aufbringen kann, zu leben.
Ich muss mir so viel wert sein, dass ich trotz des Verlustes einen
Sinn in meinem Leben sehe. Wenn ich an einen drohenden Verlust denke,
dann habe ich momentan noch keine Idee, wie es danach weitergehen
soll. Ich gehe davon aus, dass der Schmerz so groß sein wird, dass
er mich lebensunfähig macht. Und genau da liegt der springende
Punkt: Ein Verlust macht mich nicht dauerhaft lebensunfähig, wenn
ich meinen berechtigten Platz in dieser Welt sehe und wenn ich mein
eigener Lebenssinn sein kann. Die Angst zeigt mir nicht nur, warum
die Gegenwart ist wie sie ist, sondern auch, was ich verändern muss,
um eine lebensbejahende Zukunft zu haben. Und wenn mir das bewusst
ist, dann kann ich daran arbeiten.
Für
mich bedeutet das: Selbstbewusstsein stärken, Autonomie fördern,
Selbstwirksamkeit entdecken. Ich habe nicht den Anspruch, meine
überschießenden Ängste auszulöschen… aber ich möchte mit ihnen
leben können.
Habt ihr Ängste, die eure
Lebensqualität beeinflussen? Wisst ihr, wie es zu euren Ängsten
gekommen ist? Und habt ihr schon herausgefunden, was euch eure Angst
auf diesem augenscheinlich irrationalen und realitätsfernen Weg
mitteilen möchte? Was muss sich in euch verändern, um euer
Leben positiv zu beeinflussen?