Als
ich eines Montags nach Hause fuhr und in einer Nebenstraße parkte, hatte
ich Ausblick auf das nahegelegene Eiscafé meiner Wohnung.
„Außer-Haus-Verkauf“, stand auf einem großen Plakat vor dem
Eingang. Und ein Hinweis, sich an den Abstand zu halten –
mindestens 1,5 Meter. Ich blieb an diesem frühen Abend noch eine
halbe Stunde im Auto sitzen, um zu beobachten, wie die Menschen
aufeinander Rücksicht nehmen und ausnahmslos jeder die Abstandsregel
einhält. Ein Solidaritätsmoment, ein Gefühl der
Gemeinschaft. Ich wollte nicht aussteigen, um mir die Wärme zu
bewahren und sie festzuhalten.
Von
der Corona- zur Hass-Pandemie
Inzwischen
bin ich seit nun mehr drei Wochen aus dem Auto gestiegen. Ich
erinnere mich gerne an den Moment zurück, doch das Gefühl ist
längst verpufft. An dessen Stelle trat Hass und Verbitterung
– das sind nicht meine Gefühle, doch sie haben sich wie eine Zecke
an mir verbissen. Mir fällt es schwer, mich von fremder Aura
abzugrenzen und meine Gefühle nicht dem Außen anzupassen.
Mittlerweile bin ich zumindest wütend. Und enttäuscht.
Die
Corona-Pandemie sorgt seit Monaten für eine Ausnahmesituation,
die beinahe die ganze Welt betrifft. Vor einigen Wochen las ich, dass
Krisen dieses Ausmaßes das Beste im Menschen hervorrufen und nickte
zustimmend, als ich Situationen wie jene vor dem Eiscafé
beobachtete. Nicken scheine ich heute nur noch, wenn ich meinen Kopf
wiederholt gegen die Wand schlage. Denn in Folge der Isolation
verbrachte ich viel Zeit in sozialen Netzwerken. Zu viel Zeit. Keine
Minute hat sich gelohnt und keine Sekunde davon tat mir gut.
Es
geht mir bei diesem Statement nicht um den Wunsch nach Harmonie. Es
geht mir nicht um den Wunsch nach Kritiklosigkeit oder emotionslose
Debatten. Im Gegenteil: Die Situation und die Vorgehensweise in
dieser Krise müssen diskutiert werden. Denn auch das ist Demokratie:
Uneinigkeit, Fehler, Diskurse. Doch es gibt Unterschiede
zwischen Kritik und Hass. Zwischen Anzweifeln und Verachten, zwischen
Meinungsfreiheit und Beleidigung. Ich habe das Gefühl, dass wir
nicht nur eine Corona-, sondern inzwischen auch eine Hass-Pandemie
erreicht haben.
Die
Hass-Blase in der digitalen Kommunikation
Worum
es überhaupt geht? Es geht darum, dass Menschen Morddrohungen
bekommen und beschimpft werden. Es geht um diesen unerträglichen
Überbietungswettbewerb, bei dem "recht haben" mit "besser
sein" gleichgesetzt wird. Es geht um Herablassung und das
Außerachtlassen der Tatsache, dass der Mensch nie frei von Fehlern
sein wird. Es geht um das stupide Einschlagen auf Personen und
Meinungen und es geht um die fehlende Nachsicht mit Menschen, die bei
aller Mühe nicht das schaffen können, was doch ein Großteil von
ihnen erwartet: Die absolute Richtigkeit ihres Handelns für jeden.
Und es geht um den Trugschluss, sich glücklich hassen zu können.
Wahrscheinlich
sollten mich diese verbalen Abgründe gar nicht so sehr überraschen.
Doch die Radikalisierung vieler Kommentare hat aus meiner Sicht eine
neue Dimension erreicht, die mich erschreckt. Denn Hass zerstört
Leben. Das kann ich so sagen, denn ich habe lange Zeit meinen
Hass gegen mich selbst gerichtet und rebelliere ab und an noch immer
gegen mich. Ich bekam meine eigenen Morddrohungen, was schon schlimm
genug war. Bekäme ich solche von anderen Menschen, so würde ich mit
ziemlicher Sicherheit daran zerbrechen. Das dies nun einige Menschen
in der heutigen Zeit wirklich durchleben müssen, ist unmenschlich
und zutiefst beschämend. Ganz egal, welche Meinung sie haben und ob
man mit dieser übereinstimmt oder nicht.
Der
abwärtsgerichtete soziale Vergleich – Abwertung zur
Aufwertung
Hass
ist sicherlich das schädlichste Gefühl, dass der Mensch haben kann.
Denn er besitzt, meiner Ansicht nach, den geringsten Nutzen: Trauer
ist wichtig, um einen Verlust zu verarbeiten. Wut kann uns antreiben,
uns in die Aktivität führen. Hass hingegen täuscht etwas vor, das
oftmals nicht präsent ist, nämlich Dominanz, Selbstbewusstsein und
emotionaler Stärke. Er dient als Kompensation einer
innerlichen Lücke und macht den Anschein, als könne man durch
vermeintliche Erhabenheit etwas wiedererlangen, dessen Fehlen großen
Schmerz verursacht. Fühlen wir uns besser, wenn wir etwas oder
jemanden hassen können? Steigern wir durch unseren Hass unser
Selbstwertgefühl? Ich kenne zumindest niemanden, dem sein Hass zu
Glück und Zufriedenheit verholfen hat.
Vor
einiger Zeit habe ich mal vom abwärtsgerichteten sozialen Vergleich
gelesen. Diese Theorie besagt, dass es belohnend wirkt,
herabzublicken. Genau das machen wir, wenn wir hassen: Wir stellen
uns auf eine andere Stufe, blicken hinab. Allein dadurch, dass wir
jemanden nicht mögen, funktioniert unsere Wertung hierarchisch und
unser Belohnungssystem schlägt aus – zumindest für einen
kurzen Moment. Würden wir nun auf Augenhöhe argumentieren und einen
respektvollen Umgang an den Tag bringen, so klappt das mit dem
Herabblicken nicht mehr so gut und die Belohnung bleibt aus.
Das
bedeutet nicht, dass Hass kein „normales“ Gefühl ist. Im
Gegenteil: Jeder kennt es. Doch soziale Netzwerke sind Plattformen,
auf denen viel Raum ist für Anstands- und Empathielosigkeit.
Das digitale Miteinander scheint überwiegend toxisch, obwohl man
sich nicht darüber hinweg täuschen darf, dass auch konstruktive
Kritik und der höfliche Umgangston seinen Platz finden. Ich hoffe
sehr, dass diese geballte Vergiftung in den Kommentaren einen
falschen Eindruck erweckt über die Wirklichkeit und dass diese
überzogene Hasskultur nur einer kleinen Minderheit zugehörig ist,
die in der Anonymität des Internets Menschen diffamiert, beleidigt
und herabwürdigt. Denn mittlerweile finde ich dieses zu beobachtende
Gegeneinander sehr belastend – insbesondere dann, wenn man dazu
neigt, die äußere Atmosphäre auf die eigene Gefühlswelt zu
übertragen.
Ein
Zitat von Søren Aabye
Kierkegaard
bringt mich immer wieder zum
Nachdenken:
„Der Hass ist die Liebe, an der man gescheitert ist.“
Es
scheint, als sei damit in erster Linie die Liebe für sich selbst
gemeint...
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