Mittwoch, 4. November 2020
Dienstag, 5. Mai 2020
Hass' dich glücklich - Die Boshaftigkeit in der Krise
Als
ich eines Montags nach Hause fuhr und in einer Nebenstraße parkte, hatte
ich Ausblick auf das nahegelegene Eiscafé meiner Wohnung.
„Außer-Haus-Verkauf“, stand auf einem großen Plakat vor dem
Eingang. Und ein Hinweis, sich an den Abstand zu halten –
mindestens 1,5 Meter. Ich blieb an diesem frühen Abend noch eine
halbe Stunde im Auto sitzen, um zu beobachten, wie die Menschen
aufeinander Rücksicht nehmen und ausnahmslos jeder die Abstandsregel
einhält. Ein Solidaritätsmoment, ein Gefühl der
Gemeinschaft. Ich wollte nicht aussteigen, um mir die Wärme zu
bewahren und sie festzuhalten.
Von
der Corona- zur Hass-Pandemie
Inzwischen
bin ich seit nun mehr drei Wochen aus dem Auto gestiegen. Ich
erinnere mich gerne an den Moment zurück, doch das Gefühl ist
längst verpufft. An dessen Stelle trat Hass und Verbitterung
– das sind nicht meine Gefühle, doch sie haben sich wie eine Zecke
an mir verbissen. Mir fällt es schwer, mich von fremder Aura
abzugrenzen und meine Gefühle nicht dem Außen anzupassen.
Mittlerweile bin ich zumindest wütend. Und enttäuscht.
Die
Corona-Pandemie sorgt seit Monaten für eine Ausnahmesituation,
die beinahe die ganze Welt betrifft. Vor einigen Wochen las ich, dass
Krisen dieses Ausmaßes das Beste im Menschen hervorrufen und nickte
zustimmend, als ich Situationen wie jene vor dem Eiscafé
beobachtete. Nicken scheine ich heute nur noch, wenn ich meinen Kopf
wiederholt gegen die Wand schlage. Denn in Folge der Isolation
verbrachte ich viel Zeit in sozialen Netzwerken. Zu viel Zeit. Keine
Minute hat sich gelohnt und keine Sekunde davon tat mir gut.
Es
geht mir bei diesem Statement nicht um den Wunsch nach Harmonie. Es
geht mir nicht um den Wunsch nach Kritiklosigkeit oder emotionslose
Debatten. Im Gegenteil: Die Situation und die Vorgehensweise in
dieser Krise müssen diskutiert werden. Denn auch das ist Demokratie:
Uneinigkeit, Fehler, Diskurse. Doch es gibt Unterschiede
zwischen Kritik und Hass. Zwischen Anzweifeln und Verachten, zwischen
Meinungsfreiheit und Beleidigung. Ich habe das Gefühl, dass wir
nicht nur eine Corona-, sondern inzwischen auch eine Hass-Pandemie
erreicht haben.
Die
Hass-Blase in der digitalen Kommunikation
Worum
es überhaupt geht? Es geht darum, dass Menschen Morddrohungen
bekommen und beschimpft werden. Es geht um diesen unerträglichen
Überbietungswettbewerb, bei dem "recht haben" mit "besser
sein" gleichgesetzt wird. Es geht um Herablassung und das
Außerachtlassen der Tatsache, dass der Mensch nie frei von Fehlern
sein wird. Es geht um das stupide Einschlagen auf Personen und
Meinungen und es geht um die fehlende Nachsicht mit Menschen, die bei
aller Mühe nicht das schaffen können, was doch ein Großteil von
ihnen erwartet: Die absolute Richtigkeit ihres Handelns für jeden.
Und es geht um den Trugschluss, sich glücklich hassen zu können.
Wahrscheinlich
sollten mich diese verbalen Abgründe gar nicht so sehr überraschen.
Doch die Radikalisierung vieler Kommentare hat aus meiner Sicht eine
neue Dimension erreicht, die mich erschreckt. Denn Hass zerstört
Leben. Das kann ich so sagen, denn ich habe lange Zeit meinen
Hass gegen mich selbst gerichtet und rebelliere ab und an noch immer
gegen mich. Ich bekam meine eigenen Morddrohungen, was schon schlimm
genug war. Bekäme ich solche von anderen Menschen, so würde ich mit
ziemlicher Sicherheit daran zerbrechen. Das dies nun einige Menschen
in der heutigen Zeit wirklich durchleben müssen, ist unmenschlich
und zutiefst beschämend. Ganz egal, welche Meinung sie haben und ob
man mit dieser übereinstimmt oder nicht.
Der
abwärtsgerichtete soziale Vergleich – Abwertung zur
Aufwertung
Hass
ist sicherlich das schädlichste Gefühl, dass der Mensch haben kann.
Denn er besitzt, meiner Ansicht nach, den geringsten Nutzen: Trauer
ist wichtig, um einen Verlust zu verarbeiten. Wut kann uns antreiben,
uns in die Aktivität führen. Hass hingegen täuscht etwas vor, das
oftmals nicht präsent ist, nämlich Dominanz, Selbstbewusstsein und
emotionaler Stärke. Er dient als Kompensation einer
innerlichen Lücke und macht den Anschein, als könne man durch
vermeintliche Erhabenheit etwas wiedererlangen, dessen Fehlen großen
Schmerz verursacht. Fühlen wir uns besser, wenn wir etwas oder
jemanden hassen können? Steigern wir durch unseren Hass unser
Selbstwertgefühl? Ich kenne zumindest niemanden, dem sein Hass zu
Glück und Zufriedenheit verholfen hat.
Vor
einiger Zeit habe ich mal vom abwärtsgerichteten sozialen Vergleich
gelesen. Diese Theorie besagt, dass es belohnend wirkt,
herabzublicken. Genau das machen wir, wenn wir hassen: Wir stellen
uns auf eine andere Stufe, blicken hinab. Allein dadurch, dass wir
jemanden nicht mögen, funktioniert unsere Wertung hierarchisch und
unser Belohnungssystem schlägt aus – zumindest für einen
kurzen Moment. Würden wir nun auf Augenhöhe argumentieren und einen
respektvollen Umgang an den Tag bringen, so klappt das mit dem
Herabblicken nicht mehr so gut und die Belohnung bleibt aus.
Das
bedeutet nicht, dass Hass kein „normales“ Gefühl ist. Im
Gegenteil: Jeder kennt es. Doch soziale Netzwerke sind Plattformen,
auf denen viel Raum ist für Anstands- und Empathielosigkeit.
Das digitale Miteinander scheint überwiegend toxisch, obwohl man
sich nicht darüber hinweg täuschen darf, dass auch konstruktive
Kritik und der höfliche Umgangston seinen Platz finden. Ich hoffe
sehr, dass diese geballte Vergiftung in den Kommentaren einen
falschen Eindruck erweckt über die Wirklichkeit und dass diese
überzogene Hasskultur nur einer kleinen Minderheit zugehörig ist,
die in der Anonymität des Internets Menschen diffamiert, beleidigt
und herabwürdigt. Denn mittlerweile finde ich dieses zu beobachtende
Gegeneinander sehr belastend – insbesondere dann, wenn man dazu
neigt, die äußere Atmosphäre auf die eigene Gefühlswelt zu
übertragen.
Ein
Zitat von Søren Aabye
Kierkegaard
bringt mich immer wieder zum
Nachdenken:
„Der Hass ist die Liebe, an der man gescheitert ist.“
Es
scheint, als sei damit in erster Linie die Liebe für sich selbst
gemeint...
Donnerstag, 30. April 2020
Die Nacht des Grauens - Zwei Katzen, kein Schlaf
Ich
bekam in der Vergangenheit schon mehrmals die Frage, wann es denn
wieder „Katzen-Content“ gäbe. Lange Zeit ist nichts passiert,
was sich zum Verschreibseln anbot. Das hat sich geändert – zu
meinen Ungunsten…
Zur
Vorgeschichte:
Ich habe zwei Katzen: Schnotti (chronischer Schnupfen) und Glimmer (Herzfehler). Letzten
Montag lag ich gemütlich in meinem Bett und schaute Fernsehen, als
Glimmer plötzlich alarmierende Geräusche von sich gab. Es klang,
als würde sie zugleich husten und würgen müssen. Ich lief hin und
sah, dass irgendetwas nicht stimmte. Also nahm ich sie zu mir ins
Bett und streichelte sie, bis es langsam besser wurde. Diese
Geräusche machten mir Angst, weil Glimmer herzkrank ist und Husten
ein Zeichen dafür sein könnte, dass sich ihre Herzleistung
verschlechtert hat. Um die Dramatik vorab aus der Geschichte zu
nehmen: Ihr geht es gut. Ich habe sie ein paar Tage lang beobachtet
und die Beschwerden kamen kein zweites Mal vor. Höchstwahrscheinlich
hatte sie sich einfach nur verschluckt.
Dank
meines liebenden, sich aufopfernden, tief mitfühlenden und jedes
Leid der anderen als sein eigenes annehmenden Mutterherzens entschied
ich mich natürlich und sicherheitshalber dazu, die Katzen
ausnahmsweise bei mir schlafen zu lassen. Normalerweise dürfen sie
den ganzen Tag in mein Schlafzimmer – nur nicht nachts! Das hat
triftige Gründe, die mir auch in dieser Nacht nicht hätten
deutlicher vor Augen geführt werden können...
Die
besagte Nacht des Grauens - Eine Dokumentation
00:30
Uhr:
Ich
bin bereit: Die Zähne sind angezogen, die Schlafsachen geputzt und
ich bin müde. Glimmer ist seit ihrem Husten- und Würgeanfall
unauffällig. Wie jeden Abend gebe ich ihr also ihre Herzmedikamente
und schlürfe Richtung Bett. Die Katzen glotzen blöd, als ich die
Tür hinter mir offen lasse. Ich glotze zurück, rolle mich
Mumien-artig in die Decke, drehe mich auf die richtige Seite und
mache das Licht aus.
00:31
Uhr:
Der
Nachteil an Laminat- anstatt Teppichboden ist, dass er sehr
geräuschempfindlich ist. Der Nachteil an Krallen ist, dass sie
Geräusche verursachen, wenn sie über den Laminatboden tapsen. Die
Katzen wuseln durchs Zimmer. Ich frage mich, wie groß der Raum ist,
um in ihm so viele Schritte machen zu können. Außerdem überlege ich, was es
denn nach acht Jahren im selben Haushalt noch zu erkunden gibt,
weshalb man seine Pfotenabdrücke in scheinbar jede Ecke patschen
muss. Inzwischen, so fällt mir auf, erkenne ich die jeweilige Katze
sogar am Gang – was bei gerade einmal zwei Tieren wohl nicht ganz so
spektakulär ist, wie es klingt.
00:40
Uhr:
Es
raschelt. Und zwar raschelt es so, dass ich das Gefühl bekomme, es
sei nicht gut, dass es raschelt. Nachdem ich fest entschlossen war,
jedes weitere Geräusch zu ignorieren, bin ich mir nun absolut
sicher, dass es nicht rascheln sollte. Also mache ich das Licht
meines Nachttischlämpchens an und entdecke neben mir Glimmers
Hintern, der aus dem Spalt zwischen Bett und Wand emporragt und im
Begriff ist, in jenem vollends zu verschwinden. Ich stehe auf, rücke
das Bett vor und hole die Katze aus der Verschluckungsfalle. Danach
entdecke ich die leere Klebebandrolle, die mir beim Geschenke
einpacken in die Lücke gefallen ist (als ich in einer depressiven Phase alles vom Bett aus gemacht habe) und nach der Glimmer nun scheinbar
heldenhaft gefischt hat. Nachdem ich sie fragte, ob sie vergessen
hat, warum sie beide heute bei mir schlafen dürfen, legt sie sich
ans Fußende und lässt demonstrativ die Augen zufallen.
00:50
Uhr:
Schnotti
hat sich auf meine Füße gestürzt. Sie mag es, Dinge zu jagen, die
sich unter der Decke bewegen. Es war eine blöde Idee, dass ich
hieraus mal ein Spiel gemacht habe und sie nun immer nach Füßen
Ausschau hält, sobald sie aufs Bett springt. Ich bin wach.
00:55
Uhr:
Schnotti
hat ihre Spielzeugmaus mit Glöckchen geholt und spielt Fangen,
während ich mich frage, ob man für zwei chronisch kranke Katzen
noch Geld verlangen könnte. Ich ahne allerdings, dass ich noch
draufzahlen müsste und verwerfe den Gedanken wieder.
01:10
Uhr:
Ich
höre Atem. Ich höre den Atem lauter. Ich spüre Atem. Mein Gesicht
wird angeatmet und es kommen diese typischen Katzen-Tauben-Geräusche,
die sich nicht anders beschreiben lassen, weil es irgendeine
eigenartige Mischung aus Miauen und Taubengurren ist. Sie sind ein
eindeutiges Zeichen für den Unterkuschelungsstatus dieser Katze.
Kurz darauf steckt Schnotti ihr Gesicht in mein Gesicht und reibt
sich. „Köpfeln“, heißt es auch. Ist ja wirklich ganz süß,
wenn Katzen damit ihre Zuneigung zum Ausdruck bringen wollen, aber
doch bitte nicht mitten in der Nacht.
01:25
Uhr:
Nachdem
sich Schnotti millionenfach um die eigene Achse gedreht hat, um die richtige Liegeposition zu finden, muss ich sie nun
dauerkraulen, damit sie nicht wieder mit dieser nervigen Kopfreiberei anfängt.
Ich kann nicht schlafen, wenn ich streicheln muss.
01:50
Uhr:
Die
Katze musste niesen. Ich habe mich zu Tode erschrocken und Glimmer
hat sich zu Tode erschrocken, weil ich mich zu Tode erschrocken habe.
Schnotti ist aufgesprungen, weil es sich im Liegen nicht gut niesen
lässt. Ich muss aufstehen, um mich zu waschen und stelle danach
fest, dass ich nun wirklich richtig wach bin.
01:53
Uhr:
Zwar spricht das Folgende nicht für die Intelligenz dieser Katze, doch ich kann an dieser Stelle einfach nicht unerwähnt lassen, dass ihr etwas sehr, sehr Dummes passiert ist: Nach ihrer Niesattacke musste Schnotti sich
ausgiebig putzen. Als sie mit ihrer Pfote den Schwanz festhalten
wollte, um sich auch dort zu säubern, ist sie mit der Kralle ihrer
Vorderpfote in ihrer Haut hängengeblieben. Sie war mit ihrem Schwanz
im wahrsten Sinne des Wortes fest verbunden. Nachdem ich der
panischen Katze vorsichtig die Kralle aus der Haut gezogen hatte, bekam ich minutenlang immer wiederkehrende, schwere Lachkrämpfe
(ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke).
02:45
Uhr:
Während
ich noch eine Serienfolge bei Netflix geschaut habe, sind beide
Katzen zur Ruhe gekommen und liegen schlafend in meinem Bett. Ich
starte den nächsten Versuch.
03:15
Uhr:
Schnotti
hat Glimmer auf den Kopf gehauen. Dieses Szenario habe ich im Dunkeln
zwar nicht sehen können, doch erkenne ich es inzwischen allein am
Geräusch, da es immer gleich abläuft: Glimmer berührt Schnotti
versehentlich, Schnotti springt auf und haut Glimmer mit der Pfote
auf den Kopf. Für eine kurze Zeit fuchteln beide mit den Vorderpfoten. Danach beginnt Schnotti zu starren, ähnlich wie in diesem Bild...
...und
Glimmer glotzt verstrahlt durch die Gegend, um zu schlichten. In der
Regel springt Schnotti im Anschluss vom Bett und sucht sich
Dummheiten, die sie anstellen könnte. Oder beide beginnen, Fangen zu
spielen. Schnotti hat sich für die Klimper-Maus entschieden.
03:40
Uhr:
Wiederholung
des Szenarios von 01:25 Uhr.
04:20
Uhr:
Es
geschehen noch Wunder. Ich konnte mich auf die andere Seite drehen,
ohne dass Katze Nummer 1 empört aufsprang, und Katze Nummer 2
schläft am Fußende. Mir bleiben ungefähr 20 cm der Matratzenbreite,
um nicht aus dem Bett zu fallen.
04:25
Uhr:
Ich
bin aus dem Bett gefallen.
04:35
Uhr:
Genervt
überlege ich, ob ich nicht einfach wach bleiben sollte. Mein
Gewissen erlaubt es mir nicht, die bereits seit Stunden unauffällige
Glimmer aus meiner Beobachtung zu nehmen und Schnotti treibt mich in
den Wahnsinn, wenn ich nur vorsichtig ans Schlafen denke.
04:45
Uhr:
Nach
reiflicher Überlegung habe ich ein Machtwort gesprochen und
sämtliche Spielzeuge für Katzenkinder unzugänglich gemacht. Danach
habe ich Schnotti in den Schlaf gestreichelt und mir zuvor
ausreichend Platz im Bett gesichert. Glimmer hat sich auf den Sessel
im Erker gelegt und schläft. Ich muss auch schlafen, bevor es hell
wird.
05:00
Uhr:
Ich
habe versehentlich meinen Fuß bewegt…
Mittwoch, 18. März 2020
Coronavirus: Auswirkungen auf die mentale Gesundheit
Die
momentane Krise hinsichtlich des Coronavirus, das zurzeit in
aller Munde ist, verursacht viele berufliche und private Krisen.
Einige fürchten um ihre Existenz, andere sind aufgrund von viel Arbeit völlig
überlastet. Nun stehen wir möglicherweise kurz vor einer
Ausgangssperre, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und das
Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten. Neben den vielen individuellen
Schicksalen, die die aktuelle Situation mit sich bringt, wäre eine
solche Ausgangssperre auch ein großes Problem für viele Menschen
mit psychischen Erkrankungen. Auch hierüber muss gesprochen
werden.
Täglich
verfolge ich inzwischen die Informationen, die das Robert
Koch-Institut kommuniziert und noch öfter ärgere ich mich, wenn
ich die vielen Kommentare in den sozialen Netzwerken verfolge.
„Panikmache“, „Schaut euch doch die Zahl der
jährlichen Grippe-Toten an“, „Ich bin gesund, also
schränke ich mich auch nicht ein“, liest man immer wieder. Ich
möchte hierzu kein Fass aufmachen, nur eines loswerden: In erster
Linie geht es nicht darum, das Virus aufzuhalten, sondern die
Ausbreitung von Covid-19 zu verlangsamen, damit unser
Gesundheitssystem nicht so zusammenbricht, wie es in Italien der Fall
ist. Die katastrophalen Folgen, die ein Scheitern dieses
Vorhabens/dieser Verlangsamung mit sich bringt, können wir dort
beobachten. Somit geht es nicht um den Einzelnen, sondern darum, die
Risikopatienten zu schützen, dessen Versorgung bei einer zu
schnellen Ausbreitung unter Umständen nicht mehr gewährleistet
werden kann.
Soziale Isolation und ihre mentalen Folgen
Durch
die Klinikaufenthalte, die ich aufgrund von psychischen Erkrankungen
hatte, lernte ich viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen
kennen. Häufige Symptome der mentalen Belastungen: Sozialer
Rückzug, Antriebslosigkeit, Einigelung – aber auch Probleme mit
dem Alleinsein. All diese Symptome könnten nun für viele
Menschen, die mit psychischen Krankheiten zu kämpfen haben,
hinsichtlich der Einschränkungen des öffentlichen Lebens und einer
möglichen Ausgangssperre zum großen Problem werden.
Seit
vergangenem Montag wurde auch der Unterricht im Rahmen meiner
Ausbildung abgesagt. Wir haben, wie viele andere auch, nun zunächst
bis nach den Osterferien frei. Das ist eine lange Zeit. In solchen Freizeiten habe ich ohnehin
Schwierigkeiten, morgens aufzustehen, aktiv zu werden, in den
Tag zu starten. Ein Problem, mit dem ich nicht alleine bin.
Zudem
wohne ich nur mit meinen Katzen in einer Wohnung, weshalb ich mich
zeitweise weder woanders einquartieren kann, noch habe ich Anreize
von außen, morgens aus dem Quark zu kommen. Diese Anreize
muss ich mir somit selber schaffen – das funktioniert auch hin und
wieder, solange sich diese Freizeit nicht über einen langen Zeitraum
erstreckt.
In Anbetracht eben dieser Symptome, die bei psychischen Erkrankungen häufig vorkommen können, lässt sich leicht vorstellen, dass eine soziale Isolation oder zumindest eine Einschränkung in dieser Richtung mehr als herausfordernd für Menschen ist, die mit solchen Schwierigkeiten bereits in ihrem normalen Alltag zu kämpfen haben.
Hilfestellungen
für Menschen mit psychischen Erkrankungen
Es
ist nun besonders wichtig für Menschen, die hinsichtlich einer
möglichen Ausgangssperre über ihre mentale Situation besorgt sind,
sich vorzubereiten. Im Folgenden habe ich zehn Vorschläge
gesammelt, um die Zeit zu Hause schneller verstreichen zu lassen:
1.
Kontakthaltung über Technik: Wir haben das große Glück,
dass uns die heutige Technik ermöglicht, auch von zu Hause aus
Kontakt zu unseren Mitmenschen zu halten – und das nicht nur übers
Telefon. Es ist wichtig, schon jetzt die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, mit jedem z.B. auch Kontakt per Videotelefonie halten zu
können.
2.
Wiederentdecken/Ausprobieren: Gibt es Dinge,
die du einst gerne gemacht hast oder immer schon mal ausprobieren
wolltest? Malen, zeichnen, ein bestimmtes Buch lesen, einen Podcast
aufnehmen, schreiben, basteln. Das alles sind Dinge, für die bald
Zeit sein könnte und in die man sich richtig vertiefen kann.
3.
Frühjahrsputz: Der Frühling steht vor der Tür. Ich muss
leider zugeben, dass ein Frühjahrsputz ein guter Zeitvertreib wäre,
weshalb ich mir bereits vorsorglich alles Mögliche an Putzutensilien
besorgt habe.
4.
Sport: Hometraining ist nicht jedermanns Sache. Soll aber
helfen. Hab‘ ich gehört.
5.
Tabletten sortieren: Das schreibe ich eigentlich nur, um daran
zu erinnern, schon einmal seine Rezepte zu besorgen, bevor es nervig
wird.
6.
Bullet Journal: Ich sehe immer wieder Menschen, die in der
letzten Zeit ein Bullet Journal begonnen haben. Ein Bullet Journal
ist ein höchst individueller Terminkalender und Alltagsplaner, in
dem man auch seine ganz persönlichen Eindrücke festhalten kann.
Hiermit lässt sich die ein oder andere Stunde sicher gut verbringen.
Aber nicht vergessen: Ohne Buch kein Bullet Journaling!
7.
Häkeln/Nähen: In der Klinik wurden immer wieder Häkel-
und Nähkurse angeboten und ich habe beobachtet, dass auch Menschen,
die dies zuvor konsequent abgelehnt haben, die Nadel nicht mehr aus
der Hand legen konnten.
8.
Wohlfühl-Oase für zu Hause: Badesalze, Peelings,
Gesichtsmasken, Wellness, Düfte und Aromen. Man könnte die Zeit
doch mal für Dinge nutzen, die entspannen und guttun.
9.
Spiele: Hat früher auch jemand gerne Sims gespielt? Den
Zauberwürfel gelöst? Pokémon? Mario Kart? Age of Empires?
10.
Haustiererziehung, -förderung und -forderung:
Intelligenzspiele, Kommandos oder einfach eine ausgiebige
Beschäftigung mit dem Tier kann für Abwechslung sorgen.
Dies sind Beispiele, die zeigen: Es gibt viele Möglichkeiten, Zeit in den eigenen vier Wänden
zu verbringen. Das bedeutet zwar nicht gleich auch, dass das eine
einfache Zeit wird, aber zumindest können wir Dinge ausprobieren
und uns vorbereiten, indem wir die Voraussetzungen hierfür
schon jetzt schaffen. Zumindest wäre das eine Chance für jeden, der
Angst vor Einsamkeit und Isolation hat.
Ganz
egal, ob es nun zu einer Ausgangssperre kommt oder nicht: Wir müssen
nun solidarisch und rücksichtsvoll sein. Das bedeutet,
sich einzuschränken und mehr Zeit zu Hause zu verbringen, an seine
Mitmenschen zu denken und sich gegenseitig dabei zu helfen, so gut es
geht durch die nächsten Wochen zu kommen. Wir müssen daran denken,
dass es Menschen gibt, die ihre berufliche Existenz verlieren und
welche, die jeden Tag für uns weiter arbeiten. Solche, die große
Angst haben und jene, die unter der Situation aufgrund ihrer
psychischen Belastungen leiden. Und dann gibt es noch diejenigen, die
als Risikopatienten besonders geschützt werden müssen. Also
lasst uns doch lieber einander helfen, als dass wir böse Worte in
der digitalen Welt verlieren und uns gegen etwas sträuben, das
gerade jetzt so wichtig für jeden ist.
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Mittwoch, 26. Februar 2020
Ein guter Tag, verrückt zu werden

Beängstigend sind nicht die
Verrückten dieser Welt. Es ist die Welt selbst, die uns verrückt
werden lässt.
Verrücktsein
als Abweichung von der Norm
Der
Kaffee schmeckt besser als sonst. Er schmeckt besser, weil ich ihn
nicht, wie üblich, mit der laktosefreien Milch vermischte. Ich habe
keine Laktoseintoleranz und doch nahm ich jahrelang jene Milch, von
der ich dachte, sie sei schonender für den Magen- und Darmtrakt.
Heute bin ich ver-rückt – was eigentlich nur bedeutet, dass ich
von meiner Routine abgewichen bin. Es ist gut, verrückt zu
sein. Zumindest dann, wenn ich nicht gleich eilen muss, um mich
meiner Milch im unangenehmen Stil zu entledigen.
Wenn
wir jemanden als verrückt bezeichnen, dann meinen wir damit
oftmals, jemand hätte „einen Knall“, „nicht alle
Tassen im Schrank“ oder „den Schuss nicht gehört“.
Und das wiederum bedeutet auch nichts anderes, als abzuweichen von
einer Norm, die wir Menschen selbst erschaffen haben. Bestimmten
Regeln und Konventionen nicht anzugehören, die sich in unserer
Gesellschaft etabliert haben. Wie auch immer das im Einzelfall
aussehen mag. Verrückt sind die, die in der Unterzahl sind. Ist es
schlecht, zu den Wenigen zu gehören?
William
Shakespeare sagte damals:
„Besser, ich wär‘ verrückt.
Dann wär‘ mein Geist getrennt von meinem Gram,
und Schmerz in eiteln Phantasien verlöre
Bewußtsein seiner selbst.“
Während
das Verrücktsein schon lange kein eindeutiger Begriff mehr ist,
bezieht sich Shakespeare in seinem Zitat auf die Geisteskrankheit.
Auf das Verrückt, bei dem dein Umfeld davon ausgeht, etwas
funktioniere nicht richtig in deinem Oberstübchen. Auf den Wahnsinn.
Und
auch ich frage mich manchmal, ob der Wahnsinn nicht einfach eine
intelligente Art der Flucht
aus der Realität ist. Wenn Realität Schmerz bedeutet, ist das
Verrücktsein dann nicht schützende Medizin? Ein tröstlicher
Gedanke. Vielleicht ist es aber auch verrückt, Heilsames im Irrsinn
zu suchen. Oder einfach Ausdruck von Verzweiflung.
Das
Verrücktsein als Wahnsinn macht so gesehen den Anschein, als müsse
man erst krank werden, um sich gesund zu fühlen. Als sei der Irrsinn
eine gute Strategie des Geistes, dem Leben und seinen
Eigenheiten standhalten zu können. Ein trauriger Widerspruch, der
die Verzweiflung manches Verstandes offenbart. Gleichwohl sollte uns
das auch bewusst machen, dass die Norm kein Synonym für „gut“
oder „richtig“ ist. Was würde sich der Mensch auch
anmaßen – ist er doch selbst für die Existenz jener Norm
verantwortlich. Oder?
Salvador
Dalí sagte einst: "Der einzige Unterschied zwischen mir und
einem Verrückten ist der, dass ich nicht verrückt bin.“
Viele
nehmen es mit dieser Norm sehr genau. Zum Beispiel dann, wenn sie
Andersartigkeit bestrafen. Es scheint nicht immer
erstrebenswert, zu ver-rücken, wenn die Folge dieser Abweichung
Ausgrenzung und Abwertung ist. Wenn die Entscheidung darüber, wen
man liebt, auch gleichsam das Urteil bedeutet, wie viel Wert man in
der Gesellschaft hat, dann fange ich an, den Wahnsinn und seinen Sinn
besser zu verstehen. Es fürchtet mich der Gedanke, in einer Welt zu
leben, in der es immer und immer wieder darum geht, bewertet und
verglichen zu werden, klüger zu sein, schneller zu sein, besser zu
sein als der andere, um damit den persönlichen Wert für die
Menschheit zu bestimmen.
Auf
der anderen Seite scheint es hip, etwas crazy zu sein. So ein
bisschen mehr bekloppt und ein bisschen weniger „normal“.
Zumindest dann, wenn man an der „richtigen“ Stelle
abgewichen ist – denn das wiederum ist ausschlaggebend dafür, ob
das Abweichen von der Norm gesellschaftlich zumindest überwiegend
akzeptiert wird oder nicht. Überlegen wir uns also genau,
wann und wie und wo wir verrückt werden und was das im Zweifelsfalle
für uns bedeutet. Denn machen wir uns nichts vor: Wir leben hier,
wir leben jetzt und wir leben unter genau diesen Umständen. Und da
wir kein Veto für ein anderes Leben haben, keine andere Welt,
in die wir wechseln können, müssen wir hinnehmen oder eben
verrücken. Auf welche Art und Weise und mit welchen Konsequenzen
auch immer.
Verrücktsein
als Möglichkeit zur Veränderung
Ob ein Mensch verrückt ist, hängt
letzten Endes also auch immer davon ab, wen man fragt. Ich mag die
Idee, dass jedes Verrücktsein in seiner einfachsten Form erst einmal
bedeutet, von einer Norm abzuweichen – nicht mehr und nicht
weniger, fernab von der Komplexität, die sich auftut, wenn man
weiter in die Tiefen der Philosophie eintaucht. Ich mag die pure
Wortwörtlichkeit des Begriffes, denn im Ver-rücken schwingt doch
auch etwas Aktives mit, eine Handlung, eine Bewegung als
Gegensatz zu Lethargie und Stillstand. Und Aktivität ist es, die den
Weg zur Veränderung ebnet. So gesehen scheint es doch eine
lohnenswerte Möglichkeit, zu verrücken, wenn man sich in einem
quälenden Zustand befindet, der anders werden soll.
Heute ist ein guter Tag, um
verrückt zu werden, dachte ich und trank meinen Kaffee anders
als sonst. Ja, vielleicht ist er das.
Ganz bestimmt aber ist heute ein guter
Tag, um zu verrücken.
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