Wir
stellen uns vor, das Leben sei eine Landkarte. Es gibt unendlich
viele Wege und Ziele. Jeder Weg, jede Richtung, ist eine
Entscheidung, die wir treffen. Wir können nicht alle Wege gehen,
doch wir können Teile von uns auf eine Reise schicken. Es
gibt Abzweigungen, Tunnel und unbekannte Pfade. Nichts ist
vorgeschrieben, nichts ist Gesetz. Nur das Ende, das ist sicher.
„Jeder
ist seines Glückes Schmied.“

Mir
ist das zu kurz gedacht, obwohl ich auch oft dazu neige, jeden
Gedanken wie Kaugummi in die Länge zu ziehen. Vielleicht will ich
mir die mögliche Wahrheit der Aussage auch einfach nicht eingestehen
– denn das würde wohl bedeuten, dass ich in meinem Leben noch
nicht sehr engagiert geschmiedet habe. Bin ich die falschen Wege
gegangen, habe ich die falschen Entscheidungen getroffen? Habe ich
mir nicht genug Mühe gegeben, ein glücklicher und
erfolgreicher Mensch zu werden?
Mich
frustrieren diese Gedanken, denn irgendwie sagen sie mir doch, ich
sei selbst daran Schuld, ein überwiegend unzufriedenes,
unglückliches Leben geführt zu haben. Gleichzeitig muss ich meine
Gedanken korrigieren: Es geht bei all dem nicht um Schuld. Denn wenn
wir immer das bestmögliche Handwerkszeug zur Verfügung hätten und
zu jeder Zeit wüssten, wie wir es einzusetzen haben, um unser
persönliches Glück zu erfahren – dann würden sich wohl sehr
viele Probleme vieler Menschen auf einen Schlag erübrigen. Und so
erinnere ich mich daran, in manchen Situationen der Vergangenheit
einfach auch mal gern eine Gebrauchsanweisung gehabt zu haben,
um nicht ganz so überfordert mit meiner Verantwortung vor meinem
Unglück zu stehen.
„Die
Entscheidung ist der Zukunft Ursprung.“
Wenn
jeder seines Glückes Schmied wäre, dann würde das unerschöpfliche,
absolute Macht und Handlungsfreiheit bedeuten. Doch –
und darüber wird hinweggetäuscht – wir haben keine Macht über
das Unvorhergesehene, auch wenn wir uns das oftmals wünschen würden.
Situationen kommen, Dinge passieren, Zeit vergeht. Vieles, das uns
von außen zugetragen wird, befindet sich außerhalb unserer
Kontrolle. Sei es ein plötzlicher Verlust, ein Unfall, eine
Krankheit. Wenn es dann darum geht, den bestmöglichen Umgang
mit der Situation zu finden, dann fehlt uns ab und an auch mal der
passende Hammer für den Nagel oder der richtige Bohrer für die
Dübel. Das hat zur Folge, dass es eben auch Augenblicke gibt, in
denen wir nicht den Hauch einer Ahnung haben, wie wir unsere kleine
Welt wieder zusammenbauen sollen. Und somit auch nicht, wie wir
glücklich werden sollen.
Um
die Gedanken abzukürzen und nicht wieder in der unendlichen Weite
der Philosophie zu landen (denn dort verlaufe ich mich regelmäßig):
„Die Entscheidung ist der Zukunft Ursprung“,
das wäre ein Satz, der zumindest auf mich jene motivierende Wirkung
hätte, die ich beim Ausgangszitat vermisse. Wir treffen jeden Tag
Entscheidungen. Einige sind kleiner, andere sind von größerer
Tragweite. Mit jeder Entscheidung können wir unsere Zukunft zwar
nicht sicher formen, doch wir haben Einfluss auf die Richtung,
in die es gehen kann. Damit besitzen wir nicht automatisch völlige
Handlungsfreiheit, aber sehr wohl einen gewissen Handlungsspielraum,
innerhalb dessen wir Einfluss nehmen und Voraussetzungen schaffen
können.
Der
Unterschied von Schuld und Verantwortung
Was
ich damit sagen will: Natürlich sind wir verantwortlich für
unser Leben. Für die Entscheidungen, die wir treffen, für
unser Handeln und unser Abwarten. Doch wir dürfen eben auch nicht
vergessen, dass die Fähigkeit, sein Leben voll und ganz selbst zu
kontrollieren, Grenzen besitzt. Die Vorstellung, dass das Glück
immerzu ein Ergebnis der eigenen Lebensgestaltung sei, ist
illusorisch. Das soll nicht entmutigend klingen, im Gegenteil: Es
soll uns die Gelassenheit geben und den Mut zur Akzeptanz, auch mal
machtlos und verzweifelt sein zu dürfen, ohne dass dies gleichzeitig
Ausdruck eines Scheiterns an uns selbst darstellt. Mit dieser
Sichtweise geben wir uns die Möglichkeit, einen verständnisvolleren
Umgang mit uns selbst zu finden. Und erst dann gehen wir von der
Passivität einer Schuldzuweisung hin zu einer Realität, in der wir
die Verantwortung tragen für die Entscheidungen, die wir treffen –
nicht immer jedoch für das Ergebnis, das sich durch den Status Quo
unseres Lebens abzeichnet.
Und
so sage ich mir: Ich bin nicht Schuld an dem Leben, das ich bisher
geführt habe – ich trage nur die Verantwortung für die
Entscheidungen, die ich traf, treffe und noch treffen werde. Das
ist der Unterschied.