So,
nun ist es auch mir passiert. In der Vergangenheit schrieb ich schon
oft über Vorurteile hinsichtlich psychischer Erkrankungen und
auch über Sätze, die manchmal unbedacht fallen und aus Unwissenheit
oder eben diesen Vorurteilen resultieren können. Sätze, unter denen
Betroffene leiden, weil sie sich nicht verstanden fühlen.
Die
Macht der Worte...
„Stell‘ dich nicht so an!“„Denk‘ doch mal positiver.“„Das ist alles Einstellungssache.“„Lach‘ doch mal.“„Du musst mehr an die frische Luft.“
Dies
sind nur ein paar Beispiele für die typischen Sätze, die Menschen
mit einer psychischen Erkrankung nicht selten zu hören bekommen.
Was
ich immer betont habe: Ich habe großes Glück mit meinem
sozialen Umfeld, weshalb ich persönlich so gut wie nie mit solchen
Aussagen konfrontiert wurde. Die Menschen, die mir wichtig sind,
begegneten mir immerzu mit großem Verständnis, Weitsicht
und Empathie. Das ist sicherlich und leider nicht
selbstverständlich und ich bin sehr froh darüber, dass ich bis
zuletzt kaum in die Lage geriet, mit eben solchen Vorurteilen einen
Umgang finden zu müssen.
Ich
kenne jedoch auch einige Menschen, die dieses Glück nicht immer
hatten. Durch ihre Geschichten konnte ich mir gut vorstellen, wie es
sein muss, solch offensichtlichem Unverständnis zu begegnen.
Viele fühlten sich, als müssten sie sich rechtfertigen, als müssten
sie sich erklären. Es scheint unfair, denn gerade bei körperlichen
Erkrankungen ist es kaum möglich, in eine solche Lage überhaupt
erst zu geraten. Bei psychischen Krankheiten hingegen kann man
solchen Aussagen nicht antworten, indem man seine Blutwerte zückt
oder anhand eines Röntgenbildes erklärt, was genau dort gerade
nicht in Ordnung ist. Somit werden viele Erkrankte in die nicht
gewollte Rolle des Beweispflichtigen gedrängt. Das kann sehr
belastend sein.
Selbsterfahrung:
Check ✅
Meine
Vorstellungskraft hinsichtlich solcher Sätze bekam nun kürzlich ein
kleines Update. Die positive Nachricht: Ich kann nun auch aus eigener
Erfahrung berichten. Die negative Nachricht: Ich konnte mit der
neuen Erfahrung zunächst schlechter umgehen, als ich zuvor vermutet
habe.
Eigentlich
ging ich immer davon aus, dass ich mit diesem Thema solch viele
schöne Erfahrungen gemacht habe, dass mich ein vorurteilsbehafteter
Satz nicht sonderlich aus der Bahn werfen würde.
Schließlich kenne ich genügend Menschen, bei denen ich mir
überhaupt keine Gedanken darum machen muss, jemals überhaupt mit
einem Vorurteil konfrontiert zu werden.
Jetzt
kann ich zu dieser Erfahrung sagen: Das
war nicht cool. Das war überhaupt nicht cool.
Innere
Konflikte und Schwierigkeiten in der Ausbildung
Vor
einem guten halben Jahr begann ich meine Ausbildung an einer
Heilpraktiker-Schule in Bremen. Gerade dann, wenn ich psychisch
schlechtere Phasen habe, fällt es mir sehr schwer, einen langen Tag
durchzustehen und die Konzentration aufrecht zu erhalten. Wenn
wir mittwochs von 9:00 Uhr morgens bis 21:30 Uhr abends Schule haben
(natürlich mit einigen Pausen zwischendurch), dann muss ich mich
mental so vorbereiten und strukturieren, dass ich dem Großteil des
Unterrichts folgen kann. Das ist eine Herausforderung,
der ich nicht immer gewachsen bin.
Zudem
bin ich gezwungen, an vielen Abenden Medikamente einzunehmen,
die mich emotional etwas dämpfen. Ihre Wirkung zeigt sich jedoch
auch am nächsten Tag: Manchmal bin ich einfach sehr müde, oftmals
aber auch richtig gerädert.
An
einem Mittwoch war so ein Tag. Ich schlief schlecht und war aufgrund
der Medikamente furchtbar kaputt. Kopfschmerzen kamen hinzu und der
innere Kloß im Hals wurde größer und größer. Ich war mir
nicht sicher, ob ich den Schultag bis zum Ende durchhalten konnte.
Das stieß nicht nur auf Verständnis:
„Stell
dich nicht so an!“
Autsch. Das war in dieser Situation
ein Volltreffer, der mich ziemlich ins Wanken brachte. Besonders, das Gegenüber über die Hintergrunde Bescheid wusste.
Meine innere Reaktion auf die Aussage überraschte mich dennoch, weil
ich eigentlich doch weiß, dass ich mich nicht anstelle. Im Gegenteil: Ich bin
ziemlich stolz darauf, etwas zu schaffen, das noch vor zwei Jahren
kaum denkbar gewesen wäre. Und obwohl sich meine innerliche
Situation nicht massiv gebessert hat, ist mein Umgang damit doch ganz
anders geworden. Die veränderte Einstellung ermöglichte es mir,
mich für eine solche Ausbildung zu entscheiden.
Obwohl ich mir dessen bewusst bin,
trifft mich ein solcher Satz. Vielleicht, weil ich noch nicht
selbstsicher genug bin? Vielleicht aufgrund der Enttäuschung
darüber, nicht verstanden worden zu sein? Vielleicht aber auch
einfach deshalb, weil der Kampf mit dem Leben viel zu real und
fühlbar ist, um zu ertragen, ihn von jemanden in die Schublade der
„Schwäche“ legen zu lassen.
Ich schreibe diesen Text aber nicht
aus Wut oder Enttäuschung. Ich schreibe ihn als Appell:
Seid achtsam. Sprecht miteinander und hört den Menschen in eurem Umfeld gut zu. Achtet auf eure Wortwahl. Seid ehrlich, aber auch bedacht. Habt Verständnis, denn jeder ist unterschiedlich. Leidensdruck ist individuell. Helft dabei, Vorurteile auszuräumen. Informiert, klärt auf, erzählt. Reicht euch die Hand – und nicht den Ellbogen.
Unverständnis ist nicht immer böse
Absicht. Es rührt oftmals einfach nur daher, dass derjenige, der die
Aussage trifft, wirklich nicht versteht oder nachvollziehen kann,
welchen Leidensdruck der Betroffene spürt. Deshalb ist es auch für
uns wichtig, geduldig zu sein und zu erklären. Wenn wir daraufhin
auf offene und interessierte Ohren stoßen, dann ist schon viel
geschafft. Wenn nicht – dann müssen wir einen anderen Umgang damit
finden und für uns die Konsequenzen schließen, die uns schützen.