Wenn
– besonders im öffentlichen Diskurs – über Depressionen
gesprochen wird, dann darf ein bestimmtes Thema nicht ausgeklammert
werden: Suizidalität.
Nicht
jeder Depressive leidet unter Suizidgedanken und nicht jeder Suizid
ist Folge einer depressiven Erkrankung. Dennoch: Selbstmordgedanken
gehören zu einem möglichen Symptom der Depression. Auch darüber
muss gesprochen werden.
Ein
sehr ehrlicher Text über die Gedanken, die niemand haben will.
Die
dunklen Gedanken
Ich
leide seit Jahren immer mal wieder unter Suizidgedanken. Mal mehr,
mal weniger. Und um ehrlich zu sein: Dass ich diesen Text zu diesem
Zeitpunkt schreibe, ist ein angewandter
Skill. Skills sind
Hilfsmittel, um mit hohen Spannungszuständen umzugehen und die
Anspannung so gut es geht zu minimieren. Das
können z.B.
eine eiskalte Dusche, ein Stein im Schuh oder bestimmte Düfte sein.
Ich habe unter anderem
gelernt, das Schreiben als
eine Hilfe zur
Spannungsreduktion zu
benutzen.
Das funktioniert nicht immer, aber sicher immer öfter. Zudem
stellt es für mich eine Möglichkeit dar, Sinn zu schaffen. Wenn ich
Selbstmordgedanken habe, dann habe ich kaum noch Hoffnung
und sehe keinen Sinn
mehr in meinem Leben – das Schreiben gibt mir Sinn, wenn auch an
anderer Stelle.
Suizidgedanken
– wie fühlt sich das an?
Ganz egal, was ich schreibe – kein
Wort könnte je das beschreiben, was ich in solchen Momenten fühle.
Niemals. Und doch ist es wichtig, einen Eindruck zu geben, der dem
möglichst nahe kommt. Um aufzuklären, zu sensibilisieren und zu
zeigen, dass der Selbstmord kein egozentrischer Akt ist. Und um in
dieser Hinsicht mal eines klar zu stellen: Wenn sich ein lieber
Mensch suizidiert, dann haben wir das Recht, wütend zu sein. Wir
dürfen traurig sein und wir
dürfen verdammt noch mal unglaublich sauer darüber sein, dass uns
ein Mensch allein gelassen hat, der uns doch so viel bedeutet hat.
All das sind Gefühle,
die ihre Berechtigung haben.
Bei
Schuldzuweisungen sieht das, aus meiner persönlichen Sicht, hingegen
anders aus. Es gibt keinen Menschen, der sich selbst aus egoistischen
Gründen das Leben nimmt
– denn Egoismus endet an der Stelle, an dem auch das Leben sein
Ende hat. Was jeder verstehen
muss: Der Suizid ist ein Akt, dem Gefühle vorausgehen, die so heftig
sind, dass derjenige sie nicht mehr ertragen konnte. Es spielt keine
Rolle, wie viele Freunde und Familienangehörige präsent sind und
wie viele von ihnen man
allein lässt. Zumindest nicht aus Sicht der Person, die seinem Leben
aktiv ein Ende setzt. Niemand
bringt sich um, um seinen Liebsten wehzutun.
Es ist Ausdruck größter Verzweiflung, dem
eigenen Leben nicht mehr standhalten zu können.
Ich
kann keine allgemeingültigen Aussagen über die Gefühle treffen,
die ein Mensch mit Suizidgedanken hat. Ich kann jedoch sehr wohl über
meine Gefühle in
einer solchen Situation sprechen. Und nicht, dass wir uns da falsch
verstehen: Das mache ich nicht gerne. Wahrscheinlich ist das der
privateste Einblick, den ich überhaupt von mir geben kann. Doch
neben der Tatsache, dass die Aufklärungsarbeit auch hier
enttabuisieren
muss, sehe ich auch, dass es hilft, den Worten manchmal freien Lauf
zu lassen.
Ein
ganz privater Einblick
Hoffnung bedeutet für mich,
irgendetwas in der Zukunft zu sehen, für das es sich lohnt,
weiterzumachen. Den Kampf gegen die Depression aufzunehmen und
Gefühle, die ich nicht haben will und die doch präsent sind,
auszuhalten. Hoffnungslosigkeit ist für mich das schlimmste Gefühl,
das es gibt. Ich vertraue weder mir noch dem Schicksal. Ich fühle
mich hilf- und machtlos. Ich sehe keinen Sinn mehr in meinem
Leben.
Andere Gefühle gesellen sich dazu:
Trauer, Wut, Verzweiflung, Angst. Die Mischung führt dazu, dass sich
meine Kehle zuschnürt. Ich habe dauerhaft das Gefühl, als würde
sich eine Schnur immer enger ziehen und der Kloß im Hals immer
dicker werden. Das verfärbt jeden Moment meiner Gegenwart und ich
denke nur noch daran, dass ich diesen Zustand nicht mehr aushalten
kann. Und wenn das Leben für mich bereit hält, immer wieder mit
solchen Gefühlen konfrontiert zu werden, dann fühle ich mich nicht
stark genug für diese Herausforderung. Diese Gefühle und
Gedanken zerreißen mich von innen, als würde sich ein Parasit
durch alles fressen, was ich bin. Ich winde mich, als würde ich mit
den stärksten Krämpfen nur noch darauf warten, dass es endlich
vorbei ist. Nur, dass diese Krämpfe eben einen innerlichen Schmerz
darstellen, der nicht sichtbar ist.
Wenn ich mich in diesem Zustand
befinde, dann gibt es keine Gedanken an mögliche Hinterbliebene oder
an Personen, die ich mit dem Freitod schaden oder verletzen würde.
Es geht nur noch darum, den Schmerz nicht mehr spüren zu müssen.
Es geht nicht mehr darum, warum es so ist wie es ist. Es geht darum,
dass es aufhört, so zu sein. Es soll einfach nur aufhören.
Ich habe die Diagnosen
rezidivierende depressive Störung und Dysthymie bekommen. Die
Dysthymie ist eine über Jahre lang gedrückte Stimmung. Das bedeutet
für mich, dass ich akzeptieren muss, dass ich immer dazu neigen
werden, in depressive Verhaltensweisen oder Gedanken zu verfallen.
Und das bedeutet auch, dass ich keine wirklichen Erholungsphasen
habe. Über alles legt sich eine Art graue Schleier.
All das habe ich akzeptiert. Ich
merke selbst, auch ohne die dazugehörigen Diagnosen, dass es etwas
gibt, das mich immer wieder überwältigt, ohne dass ich direkten
Einfluss darauf habe. Ich könnte damit leben, wenn ich die
Auswirkungen soweit in Schach halten könnte, dass ich einen Umgang
damit finde. In Momenten, in denen ich an den Freitod denke, habe ich
das Gefühl, dass ich dem nicht mehr standhalten kann. Ich fühle
mich so hilflos, dass mir das Ende besser vorkommt, als erneut
dagegen anzugehen. Auf der anderen Seite habe ich unglaubliche
Angst vor dem Danach. Und auch davor, eine Zeit zu verpassen, in der
es mir doch noch dauerhaft besser gehen kann.
Wie so eine Situation aussieht? Ich
weiß von meiner ehemaligen Mitbewohnerin, dass sie Angst hatte, sie
würde mich nicht mehr lebend aus meinem Zimmer kommen sehen. Als ich
das erfahren habe, war ich schockiert. Nicht darüber, dass sie diese
Möglichkeit in Betracht zog – sondern darüber, dass die Situation
so extrem war, dass sie als Außenstehende eine wirkliche Angst davor
entwickeln konnte. Im Nachhinein tut es mir furchtbar leid, sie in
eine solche Situation gebracht zu haben – andererseits wüsste
ich auch nicht, wie ich sie davor hätte bewahren können. Denn
ich war nicht mehr insoweit Herr meiner Sinne, als dass ich darauf
noch großen Einfluss gehabt hätte.
Oftmals beginnt es schon beim
Aufwachen. Vielleicht habe ich schlecht geträumt, vielleicht wache
ich auch einfach so schon zittrig auf. Das Zittern ist Ausdruck
einer immensen Anspannung, die ich in jeder Pore meines Körpers
spüre. Sowohl das Atmen als auch das Schlucken fällt mir
unglaublich schwer. Wenn ich bereits mit diesen Gefühlen aufwache,
dann schaffe ich es nicht mehr, mir bewusst zu machen, was ich
bereits alles geschafft habe. Der einzige Gedanke ist: Ich halte den
momentanen Zustand nicht aus. Der Druck ist so groß, dass ich das
Bedürfnis habe, mich selbst zu verletzen. Das ist der
alternative Weg, den ich sehe, wenn ich Schlimmeres verhindern will.
Oftmals schaffe ich es, beruhigende Medikamente zu nehmen. Sie machen
mich müde und schalten meinen Kopf und meine Gedanken ab. Es gab
jedoch auch Momente, in denen ich das nicht mehr geschafft habe. Aus
ihnen resultierten unschöne Narben, für die ich mich lange Zeit
geschämt habe. Inzwischen bin ich seit langer Zeit frei von
selbstverletzendem Verhalten, jedoch nicht von Suizidgedanken, die
mich immer mal wieder besuchen kommen.
Gründe
für die suizidale Handlung
Die
Gründe für den Suizid einer bestimmten Person sind, zumindest im
öffentlichen Diskurs, vollkommen irrelevant. Denn wozu führt es,
wenn wir von den Gründen von Robert
Enke
(†
10. November 2009)
oder Chester Bennington
(†
20. Juli 2017) erfahren?
Wir fangen an, zu vergleichen. Vergleiche machen keinen Sinn, wenn
wir das Innenleben einer Person und deren individuellen Leidensdruck
nicht kennen. Psychische Erkrankungen
sind so individuell, dass sich
keine Vergleiche ziehen
und
somit auch keine allgemeingültigen Aussagen treffen
lassen. Ich finde es deshalb nur sinnvoll, über mögliche
Ursachen zu sprechen – niemals jedoch die individuellen Gründe in
der Öffentlichkeit und im Rahmen der Aufklärungsarbeit zu
thematisieren. Deshalb
werde ich auch niemals öffentlich meine persönlichen
Gründe
sowohl für die Depression als auch für das Entstehen von
Suizidgedanken zum
Thema machen.
Was
will ich eigentlich damit sagen
Ich
möchte hiermit den Suizid nicht beschönigen. Im Gegenteil: Ich
rate jedem dazu, der unter Suizidgedanken leidet, sich professionelle
Hilfe zu holen. Ein
erster Schritt könnte sein, zu seinem Hausarzt zu gehen und die
Problematik offen anzusprechen. Es gibt viele Therapiemöglichkeiten,
um Depressionen und Suizidgedanken zu behandeln und zu bekämpfen.
Niemand
steht dem komplett allein entgegen. In
dieser Tatsache
zeigt sich nur leider das Paradoxe
der Erkrankung:
Niemand würde einem Menschen mit Beinbruch sagen, er solle ins
Laufen kommen, dann würde
das schon werden.
Man würde ihm raten, sich zu schonen, sein Bein hochzulegen und sich
auszuruhen, bevor er
wieder langsam beginnt, das Bein zu belasten. Einem
depressiven
Menschen, der Probleme hat, Antrieb aufzubringen und aktiv zu sein,
kann man nicht sagen: „Okay, ruh‘ dich erst mal aus, bis es dir
besser geht.“ Depressive
Menschen sind gezwungen, Feuer
mit Feuer zu bekämpfen.
Antriebslosigkeit muss mit Antrieb bekämpft werden. Das klingt
widersprüchlich – und das ist es auch. Doch es ist in der Regel
nicht damit getan zu sagen: „Die Zeit heilt alle Wunden!“ Genau
das dachte ich, kurz bevor ich mein Studium abbrechen musste. Als ich
meine erste 5,0 kassierte, weil ich meine Hausarbeit nicht
geschrieben und abgegeben hatte, war ich gezwungen einzusehen, dass
die Zeit eben nichts heilt, so lange ich nicht unterstützend aktiv
werde. Erst, als ich zu meiner Ärztin gegangen bin, hat sich
begonnen, etwas zu verändern.
Zudem
möchte ich
zeigen, dass das ein Thema ist, für das man sich nicht schämen muss.
Ich finde es unglaublich traurig, dass die Depression immer noch ein
Thema ist, das oftmals mit Schwäche
in
Zusammenhang gebracht wird. Ich
habe in den letzten drei Jahren einige Menschen kennengelernt, die
mir sagten, dass es ihnen nicht gut geht. Doch es war ihnen
unangenehm, was Angehörige, Freunde, Arbeitskollegen oder
Schulkameraden denken würden, wenn sie sich therapeutisch behandeln
ließen. Die Depression ist aber leider eine Erkrankung,
die auch tödlich verlaufen
kann.
Hiervor ein Tabu zu setzen, ist das Gefährlichste, was Betroffenen
passieren kann. Denn viele trauen sich nicht –
wie
diese Beispiele zeigen – aktiv zu werden, wenn andere davon Wind
bekommen könnten.
Egal,
was noch passiert: Die beste Entscheidung meines Lebens war, mich in
Therapie zu begeben und meine Probleme aktiv und reflektiert
anzugehen. Wenn das
nur einem Menschen zeigen könnte, dass es sich lohnt, aktiv zu
werden und sich nicht für Gefühle und Gedanken zu schämen – dann
hätte ich schon viel erreicht.
ich kämpfte jahrelang, dass ich heutzutage meine dunklen Gedanken einigermaßen unter Kontroll setzen kann, aber ich erinnere mich noch wohl an all die Tagen, wo ich nicht mal aus dem Bett rauskommen wollte...
AntwortenLöschendanke für deinen Mut, ich wünsche dir alles Gute!
xoxo
P.
Selbstmordgedanken habe ich auch immer wieder mal. Oft wenn es mal gut läuft, aber ich sofort wieder kräftig eins reingedrückt bekomme. Glücklich sein ist irgendwie nicht. Hätte ich keine Kids, wäre ich angesichts der Sinnlosigkeit dieses Daseins wohl schon auf der anderen Seite.
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