Es
reicht. Ich habe so viele unaufhaltsame Gedanken im Kopf, die sich zu
Worten formen wollen. Und diese wiederum wollen ausgesprochen werden.
Denn wenn ich mir die Nachrichten der letzten Wochen anschaue, dann
bleibt eine Frage einsam und unbeantwortet im Raum stehen:
Warum
sind wir bloß so voller
Hass?
Am
Sonntag, den 9. September 2018, verbreitete sich die Nachricht,
Daniel Kaiser-Küblböck
sei von der Reederei Aida Cruises gesprungen und gelte seitdem als
vermisst. Daraufhin dauerte
es nicht lange, bis Mutmaßungen über seine Person, seinen
Gesundheitszustand und die letzten Stunden an Bord aufkamen. Hatte er
suizidale Absichten? Warum wurde er kurz zuvor in Frauenkleidern
abgelichtet? Hatten seine Beweggründe mit einer
Mobbing-Vergangenheit zu tun? All
das ist inzwischen der „normale“ Ablauf einer Berichterstattung
und wenig überraschend.
Wirklich
schockierend waren hingegen die unzähligen Leserkommentare,
deren Abscheulichkeit sich kaum in Worte fassen lässt. Selbst
einige Nachrichtenportale berichten bereits fassungslos über die
Vielzahl an abwertenden und diskriminierenden Kommentaren, die sie
unter ihren Artikeln lesen mussten.
Daniel
galt seit seiner Teilnahme bei der ersten Staffel „Deutschland
sucht den Superstar“ als „Paradiesvogel“. Er war eine bunte,
polarisierende Persönlichkeit.
Viele Menschen nehmen das nun zum Anlass, auch nach der Meldung
seines Verschwindens
Witze auf Kosten eben dieser
zu machen:
„Der Koffer mit den Frauenkleidern ist über die Schiffsreling gefallen. Schnell hinterher gesprungen, sonst ist der Koffer weg.“„Auch wenn alle empört tun, ich würde es zum Kotzen finden, wenn mir so einer den Urlaub versaut.“„Vielleicht hätte man ‚Frau über Bord‘ rufen müssen.“„Ich hoffe, der Typ mit seinem Flüchtlingsdampfer Lifeline schippert da nicht herum. Dann ist er morgen wieder da.“„Was tut man nicht alles, um mal wieder in die Schlagzeilen zu kommen?“„Nicht schade drum.“„Vielleicht läuft er ja jetzt als Frau auf dem Schiff herum?“„Die neue Ariel...“
Und das sind leider nur sehr wenige
Beispiele der vielen herablassenden Kommentare, die man auf
unterschiedlichen Plattformen lesen kann.
Weitere
Beispiele: Rechtsradikalismus
und Conchita Wurst
Diese
Entwicklung, die sich bei solchen Nachrichten abzeichnet, lässt sich
nicht nur an dieser Nachricht
beobachten. Einen Zusammenhang gibt es auch, wenn wir uns die
aktuelle Lage der Flüchtlingspolitik und die
Ereignisse in Chemnitz
anschauen. Nicht nur, dass der Rechtsradikalismus erschreckende
Ausmaße annimmt, nein, viele Menschen verwechseln auch etwas ganz
Essentielles: Differenzierung
und Generalisierung. All
ihre Unzufriedenheit und ihren Hass projizieren sie auf eine ihnen
fremde Gruppe von Menschen
und machen diese für all das
verantwortlich, was ihnen Angst bereitet. Empathie und
Einfühlungsvermögen gehen verloren, Ursache und Folge verschmelzen.
Es spielt primär
eine Rolle, was du
bist und nicht mehr wie
du bist und was du
tust. Denn Generalisierungen
führen dazu, gleich die ganze Person negativ zu bewerten.
Und
so kommt es, dass der Ausdruck „Die
Flüchtlinge“ zum Inbegriff
einer Deklaration
geworden ist.
Flüchtlingsheime werden
angezündet, Hass propagiert.
Nicht,
wie Angela Merkel politisch handelt, sei schlecht – die ganze Person
solle am besten gleich mit „den Flüchtlingen“ zusammen im
Mittelmeer ersaufen.
Ich
kenne viele Menschen, die mit der aktuellen Flüchtlingspolitik nicht
einverstanden sind – dennoch sind die meisten von ihnen in der
Lage, konstruktiv
zu bleiben und zu differenzieren. Das
eine schließt das andere nicht zwingend aus. Nicht
jeder Flüchtling ist kriminell, aber
auch nicht alle sind bereit, sich zu integrieren. Das ist von Mensch
zu Mensch unterschiedlich und das sehen eben auch viele.
Auch
Homosexualität spielt noch immer eine Rolle
Der
Mensch ist nicht mehr nur Mensch. Er dient als Projektionsfläche,
als Ventil, als Schuld-Annahmestelle. War das nicht schon immer so?
Vielleicht. Aber das Ausmaß von heute erinnert doch sehr an Zeiten,
die doch längst
abgeschlossen sein sollten.
Anderes
Beispiel: Conchita Wurst.
Ich habe wirklich noch nie
einen Artikel über die
Kunstfigur des österreichischen Sängers gesehen,
der nicht abwertend kommentiert wurde. Keinen einzigen. Es ist völlig
egal, ob sie einen Gesangscontest gewinnt oder zu irgendeinem Thema
öffentlich
Stellung bezieht: Sie ist anders,
als viele der Kommentatoren, also bietet die Persönlichkeit Conchita
Wurst an sich schon mal eine große Angriffsfläche. Einfach nur,
weil es sich um einen Mann
handelt, der sich als Frau verkleidet
und dazu
einen Bart trägt. Das reicht, um
aufs Übelste beleidigt zu werden.
Zudem
sind sowohl Daniel Kaiser-Küblböck als auch Thomas Neuwirth
(Conchita Wurst) homosexuell.
Die traurige Wahrheit ist, dass dieses Thema zwar wesentlich weniger
als
Anlass
öffentlicher Diskriminierung
missbraucht wird
als noch Jahre zuvor, aber
für viele eben doch noch eine Möglichkeit darstellt, sich selbst in
einem „normalen“ und
damit vermeintlich besseren Licht
zu präsentieren.
Wenn
sich ein solcher dann noch in Frauenkleidern zeigt, muss er doch
folglich
ziemlich gestört sein – oder nicht? Zumindest ziemlich anders, als
man selbst. Damit lässt sich
arbeiten.
Warum
sind wir überhaupt
herablassend?
Es
gibt viele Gründe, weshalb wir Menschen herablassend sein können.
Oftmals ist es paradox:
Menschen, die andere
Menschen minderwertig behandeln, fühlen sich selbst minderwertig.
Die Abwertung anderer dient zur Aufwertung der eigenen Person,
bringt
mehr Selbstsicherheit und ein höheres
Selbstwertgefühl. Kann das funktionieren? Ich denke nicht.
Herablassendes
Verhalten bedeutet oftmals auch der Mangel
an Empathie – und ich
meine mich zu erinnern, dass Empathielosigkeit ein Zeichen niedriger
emotionaler Intelligenz ist. Nur mal so
am Rande.
Grundsätzlich
kategorisieren
wir, um es uns leichter zu
machen. Die ganzen Informationen, die jeden Tag auf uns einprasseln,
sind viel zu viele. Die Kategorisierung an sich ist also sehr
sinnvoll und erleichtert uns den Umgang mit unserer Umwelt. Die
Schublade, in die wir uns selbst stecken, ist uns vertraut und gibt
Sicherheit, während uns
andere fremd erscheinen können.
Schwierig wird es dann, wenn wir beginnen, diese
fremden Schubladen zu
bewerten,
weil wir uns irgendwie in unserer Identität bedroht fühlen. Genau
das führt dann zu Diskriminierung und
Rassismus.
Was
wir tun können – und schon getan haben
Feuer
mit Feuer zu bekämpfen war noch nie ein bewährtes Mittel. Um
mal etwas Positives
hervorzuheben: Neben den ganzen widerlichen Kommentaren gibt es
unglaublich viele andere, die diese Diskriminierung aufs Schärfste
verurteilen. Menschen
waren mutig und haben sich von der Stärke der Anonymität des
Internets nicht einschüchtern lassen und deutlich geäußert, was
sie von den negativen Kommentaren zur Person Küblböck halten. Was
können wir also tun? Wir können unsere Toleranz öffentlich zeigen.
Unsere Empathie und unser Mitgefühl sichtbar machen. Die Mehrheit –
die
haben wir allemal.
Hier
findet ihr einen Artikel über die Leser-Kommentare und Reaktion zum
Suizid von Linkin Park-Frontmann Chester Bennington.
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