Ich wurde bisher
noch nicht oft gefragt, warum
ich unter Depressionen
leide. Zunächst einmal bin
ich der Meinung, dass die
Frage nach dem Warum im öffentlichen Diskurs hinsichtlich
psychischer Erkrankungen keine Rolle spielen sollte, wenn
sie nur im subjektiven Rahmen einer einzelnen Person betrachtet wird
- denn:
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Oftmals liegt der Depression kein alleiniger Auslöser zugrunde, sie kann selten auf nur eine einzige Ursache zurückgeführt werden. In der Regel sind es mehrere Faktoren, die an der Entstehung einer Depression beteiligt sind. Für einen Betroffenen ist es deshalb nahezu unmöglich, der Frage gerecht zu werden und eine Antwort zu geben, die tatsächlich zur Aufklärung beitragen kann.
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Die Gründe sagen nichts über die Schwere der Erkrankung aus. Gerade, weil psychische Krankheiten einen sehr individuellen Charakter haben, ist es im Sinne der Aufklärungsarbeit eine Gratwanderung, wenn es um die subjektiven Ursachen einer bestimmten Person geht – denn diese bilden auch immer die Grundlage für Vergleiche. Da Leidensdruck aber individuell und von Person zu Person unterschiedlich ist, dürfen psychische Erkrankungen meiner Meinung nach nicht verglichen werden.
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Die Depression ist eine sehr intime Erkrankung. Die Frage nach dem Warum betrifft immer das eigene Innenleben sowie nicht selten auch das direkte Personenumfeld. Es liegt im persönlichen Ermessen, wie viel man von sich preisgeben möchte.
Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell - Stress und psychische Verletzlichkeit
Nicht
zu verwechseln hiermit ist jedoch die Kommunikation über allgemeine
und mögliche
Gründe, die mit der Entstehung
einer Depression zusammenhängen können.
Um die Depression zu verstehen, ist es natürlich wichtig zu wissen,
welche Faktoren sie bedingen können. Solange die Kommunikation
hierüber einen möglichst objektiven und breitgefächerten Charakter hat, nimmt man dem
Menschen auch die Grundlage zum Vergleichen.
Hilfreich
finde ich das sogenannte Vulnerabilitäts-Stress-Modell.
Die Vulnerabilität, also die psychische Verwundbarkeit, beschreibt
dabei die Anfälligkeit eines Menschen, psychisch zu erkranken. Hierunter fallen innere und äußere Begebenheiten, die bei einem Menschen bereits vorherrschen, wie z.B. verankerte Werte und Normen, belastende Erfahrungen, genetische Veranlagung und Schwierigkeiten auf der Arbeit oder im sozialen Umfeld.
Die
individuelle Verletzlichkeit wird häufig mit einem Fass
visualisiert, das bei jedem Menschen unterschiedlich schnell zum
Überlaufen gebracht werden kann. Hat man eine erhöhte
Vulnerabilität, so ist das
Fass bereits stärker befüllt als bei jemanden, der eine niedrigere
Verletzlichkeit hat.
Kommen
nun stressige Ereignisse
oder Lebensumstände
hinzu, so neigt das Fass durch das geringe Fassungsvermögen bei
Menschen mit hoher Vulnerabilität schneller zum Überlaufen –
das Bild des Überlaufens symbolisiert demnach die Erkrankung an
einer Depression.
Was
in diesem Modell nicht berücksichtigt wird, sind die Ressourcen,
die ein Mensch hat und auf die er in stressigen Situationen
zurückgreifen kann. Das können z.B. soziale Kontakte, ausgleichende
Hobbys oder Dinge sein, die einem auf irgendeine Art und Weise
wohltun.
Je nachdem, wie viele Ressourcen man besitzt und welche Qualität
diese haben, kann
dadurch die Belastbarkeitsgrenze erhöht bzw. die Vulnerabilität
verringert werden.
Fazit:
Es ist für jeden Menschen wichtig zu wissen, wie eine Depression
entstehen kann und welche
Faktoren eine Erkrankung begünstigen. Hierzu
kann das Vulnerabilitäts-Stress-Modell eine verständliche
Veranschaulichung sein, die im folgenden Video noch einmal
eindrücklicher erklärt wird.
Geht
es um die individuelle Betrachtung im Rahmen der Aufklärungsarbeit
und des öffentlichen Diskurses, so bin ich der Meinung, dass die
Ursachenbetrachtung in erster Linie und unwillkürlich dazu führt,
dass bewusste und unbewusste Vergleiche
stattfinden – und das wiederum führt zu eben jenen Stigmen, die
unbedingt ausgeräumt werden wollen. Die
möglichen Ursachen einer Depression lassen nicht auch gleichzeitig
auf die Schwere der Erkrankung schließen und rechtfertigen keine
allgemeingültigen Annahmen über die Charakteristik einer Krankheit,
die sich nur individuell richtig fassen lässt.
Im folgenden Video erklärt Dipl. Psych. Ralf Adam noch einmal genauer, was es mit dem Modell auf sich hat und wie sich eine Depression entwickeln kann:
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