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Es war "kurz vor Zwölf" |
Und
gerade, weil ich um die Schwere dieses Schrittes weiß, möchte ich
allen Mut zusprechen, ihn zu gehen. Ohne, dass ich ihn gegangen wäre,
wäre ich wahrscheinlich heute nicht mehr hier.
2015
– ein Jahr der Veränderungen und großen Entscheidungen
Das Jahr 2015 ist das bisher
wichtigste in meinem Leben. In diesem Jahr habe ich mir eingestanden,
dass ich mein Leben so, wie es war, nicht weiter bestreiten konnte.
Ich hatte keine Lebensqualität und auch keinen Lebenswillen mehr.
Das Studium war Mittel zum Zweck, um den Schein aufrecht zu erhalten.
Um mir und anderen zu beweisen, dass mein Leben funktioniert und ich
einen Plan verfolge, der aufgehen wird. Meine Mitbewohnerin hatte
währenddessen die tägliche Angst, bald würde der Tag kommen, an
dem ich nicht mehr lebend aus meinem Zimmer treten würde. Mir tut
diese Angst heute wahnsinnig leid und zeigt mir, dass nicht nur ich
unter meiner Erkrankung gelitten hatte.
Ein bestimmter Morgen im April
startete wie automatisiert: Ich stand auf, ging ins Bad, zog mich an
und fuhr zu meiner Hausärztin. Mein Verstand funktionierte nur
insofern, als dass er mich heile zur Praxis brachte. Heute denke ich,
dass irgendetwas in mir eine Entscheidung getroffen hatte: Entweder,
ich gebe meinem Leben noch eine Chance oder ich würde es selbst
beenden.
Nach langer Wartezeit saß ich meiner
Hausärztin gegenüber und brach völlig zusammen. Ich erzählte ihr,
wie es mir ging und dass ich meinen Lebensalltag nicht mehr
bestreiten konnte. Sie reagierte sehr verständnisvoll und schickte
mich zu einer psychiatrischen Klinik in der Nähe, für die man bei
akuten Krisen keinen Termin für ein Gespräch benötigte. Lange Rede, kurzer Sinn: Die
Psychologin, mit der ich dort lange sprach, legte mir einen
stationären oder teilstationären Aufenthalt in einer
psychiatrischen Einrichtung nahe. Das war der Startschuss in ein
anderes Leben.
Im
September begann mein Aufenthalt in der Tagesklinik
Meine Hausärztin stellte mir sofort
eine Einweisung aus, sodass ich mich bei einer Tagesklinik in Bremen
anmelden konnte. Ich habe mich bewusst gegen einen stationären
Aufenthalt entschieden, da ich zwei Katzen zuhause und zudem
Schwierigkeiten hatte, aus meinem gewohnten Umfeld ganz
herauszutreten.
Wenn ich daran zurückdenke, weiß ich
nicht mehr, wie ich das alles geschafft habe. Ich habe mehr als 20
Mal bei der Tagesklinik angerufen, bis ich mit jemandem sprechen
konnte. Hartnäckigkeit, die sich auszahlte, die aber in der
Situation, in der sich viele psychisch Kranke befinden, kaum noch zu
bewältigen ist.
Bevor ihr euch abschrecken lasst: Holt euch Unterstützung! Ruft mit jemandem zusammen an oder sprecht mit eurem Arzt darüber. Es lohnt sich, diesen kraftraubenden Weg zu gehen!
Bevor ihr euch abschrecken lasst: Holt euch Unterstützung! Ruft mit jemandem zusammen an oder sprecht mit eurem Arzt darüber. Es lohnt sich, diesen kraftraubenden Weg zu gehen!
Am 8. September 2015 begann nach 16
Wochen Wartezeit mein teilstationärer Aufenthalt in der Tagesklinik.
Ich möchte in diesem Beitrag nicht allzu viel über die Details des
Aufenthalts schildern, nur so viel: Es war die bedeutsamste
Erfahrung, die ich in meinem Leben jemals gemacht habe. Ich traf auf
tolle Menschen mit unterschiedlichsten Erkrankungen und Ausprägungen.
Vier davon gehören noch heute zu den besten Freunden, die ich habe.
Das Personal war verständnisvoll, mitfühlend und eine große
Unterstützung für die weiteren Schritte. Und die Therapien waren,
wenn man sich darauf auch wirklich einließ, eine riesige Hilfe.
Therapeutensuche
– Ich habe die für mich beste Therapeutin gefunden
Schon
zu Beginn des Aufenthalts wurde uns nahegelegt, dass wir uns noch
währenddessen um einen Therapieplatz bei einem Psychotherapeuten
kümmern sollten.
Ich möchte nichts schönreden: Die Therapeutensuche ist oftmals
mit viel
Ausdauer, Wartezeit und
Rückschlägen verbunden. Ich habe an zwei Tagen bei mehr als 50
Psychotherapeuten
auf Band gesprochen. Ich kann nur jedem raten, sich nicht entmutigen
zu lassen und eventuell mit jemandem zusammen die Listen, die man sich unter anderem von der Krankenkasse schnell und einfach zuschicken lassen kann,
abzutelefonieren. Es ist leider sehr schwer, jemanden zu finden, der
freie Termine hat und bei
dem die Wartezeit nicht bis
ins nächste Leben reicht.
Während
des Aufenthalts hatte jeder Patient seinen Bezugstherapeuten, bei dem
man einmal wöchentlich ein Einzelgespräch hatte. Ich war so
zufrieden bei meiner Therapeutin, dass ich all meinen Mut
zusammennahm und sie fragte, ob sie auch noch privat praktizieren
würde. Sie sagte mir, dass sie neben ihrer
Arbeit in der Tagesklinik
noch ganz wenig ambulant tätig wäre und momentan noch
einen Platz frei hätte. Allerdings hatte
sie keine Kassenzulassung, weshalb man über das
Kostenerstattungsverfahren gehen musste. Das bedeutet, dass, wenn man
nachweislich bei mindestens fünf kassenzugelassenen Therapeuten eine
Absage oder keinen Termin
innerhalb der nächsten drei Monate
bekommt, auch bei einem nicht-kassenzugelassenen
Therapeuten eine Psychotherapie
in Anspruch nehmen kann. Diese
Möglichkeit hat sich
inzwischen leider
durch das neue Psychotherapeutengesetz
wieder erschwert. Viele
Krankenkassen sind nicht mehr bereit, die Kosten für einen
Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung zu übernehmen. Ein Versuch
ist es aber allemal Wert.
Die Chemie zwischen Psychotherapeut und Patient muss stimmen, damit eine Therapie den bestmöglichen Erfolg erzielen kann
Meine
Therapeutin und ich sind diesen Weg gegangen – und er hat
funktioniert. Ich hatte riesengroßes Glück.
Das Wichtigste ist: Eine Therapie kann nicht funktionieren, wenn die Chemie zwischen Therapeut und Patient nicht stimmt. Mir war sofort klar, dass ich mit meiner Therapeutin sehr gut arbeiten konnte und auch sie wäre diesen Weg nicht mit mir gegangen, wenn die Chemie nicht gestimmt hätte.
Ich
habe innerhalb dieser zwei Jahre schon oft mitbekommen, dass Bekannte
bei ihren Therapeuten geblieben sind, obwohl sie unzufrieden waren.
Dies
ist meiner Meinung nach mehr als nachvollziehbar, denn der Aufwand
bei der Suche
nach einem (neuen) Psychotherapeuten
ist immens und erfordert viel Kraft. Aber ein
Wechsel
lohnt sich! Meine Therapeutin ist mitunter das Beste, was mir während
der Zeit passieren konnte. Ohne sie hätte ich längst nicht so viele
Fortschritte gemacht und ich möchte behaupten, dass sie mir das ein
oder andere Mal sehr wohl das Leben gerettet hat.
Ich
wünsche wirklich jedem einen Therapeuten, der einem so gut es geht
zur Seite steht. Noch
heute bin ich ambulant bei ihr – das ist für mich ein sehr
wichtiger Termin in der Woche und ich konnte in der ganzen Zeit bis
jetzt viel von ihr lernen.
Wichtig
ist, Hilfe zuzulassen!
Seit
2015 bis heute war ich zweimal für elf Wochen in der Tagesklinik,
hatte vier Monate lang ambulanten psychiatrischen Pflegedienst, war
fünf Wochen in einer teilstationären Reha-Einrichtung und hatte
über die ganze Zeit ambulante Psychotherapie. Bald beginnt für mich
Soziotherapie – bei
dieser werde ich
über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren weiterhin ambulant
unterstützt.
Ich bin also noch nicht am Ende meiner Therapie und werde es
vielleicht nie sein. Aber ich habe erkannt, dass ich diese
Unterstützung benötige und konnte dank all dieser Schritte schon
viele Erfolge erzielen. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn ich
früher dazu bereit gewesen wäre, mir Hilfe zu holen –
doch
das Wichtige ist, dass
ich mir Hilfe geholt habe.
Wenn
es euch schlecht geht und ihr das Gefühl habt, euren Lebensalltag
nicht mehr ausreichend bestreiten zu können, dann bitte ich euch:
Holt
euch Hilfe! Es ist ein gutes Gefühl, nicht mit all den Problemen
alleine dazustehen. Es
gibt so viele Möglichkeiten und es gibt
immer
Menschen, die euch helfen können. Auch, wenn ihr sie bis jetzt noch
nicht gefunden habt.
Hilfe
in Anspruch zu nehmen ist kein Zeichen von Schwäche. Psychische
Erkrankungen sind keine Schwäche. Viele haben leider noch nicht
verstanden, dass es
jeden Menschen treffen kann,
egal in welcher Lebenslage er
sich befindet. Mir fallen
einige Personen
meines Umfelds ein, denen es
schon lange Jahre nicht gut
geht, die
sich jedoch keine
Unterstützung holen. Ich bin nicht mehr bereit, mich durch das Leben zu
quälen, ohne alle Möglichkeiten einer Gesundung oder
Verbesserung der Lebensqualität ausgeschlossen
zu haben. Und niemand sollte dazu bereit sein. Niemand!
Ich
habe in diesem Beitrag einige Dinge nur
grob angerissen. Wenn ihr
weitere Information dazu haben wollt, hinterlasst gerne einen
Kommentar oder schreibt mir eine private Nachricht.
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