Learning to live
Depressionen - Leben will gelernt sein...
Mittwoch, 4. November 2020
Dienstag, 5. Mai 2020
Hass' dich glücklich - Die Boshaftigkeit in der Krise
Als
ich eines Montags nach Hause fuhr und in einer Nebenstraße parkte, hatte
ich Ausblick auf das nahegelegene Eiscafé meiner Wohnung.
„Außer-Haus-Verkauf“, stand auf einem großen Plakat vor dem
Eingang. Und ein Hinweis, sich an den Abstand zu halten –
mindestens 1,5 Meter. Ich blieb an diesem frühen Abend noch eine
halbe Stunde im Auto sitzen, um zu beobachten, wie die Menschen
aufeinander Rücksicht nehmen und ausnahmslos jeder die Abstandsregel
einhält. Ein Solidaritätsmoment, ein Gefühl der
Gemeinschaft. Ich wollte nicht aussteigen, um mir die Wärme zu
bewahren und sie festzuhalten.
Von
der Corona- zur Hass-Pandemie
Inzwischen
bin ich seit nun mehr drei Wochen aus dem Auto gestiegen. Ich
erinnere mich gerne an den Moment zurück, doch das Gefühl ist
längst verpufft. An dessen Stelle trat Hass und Verbitterung
– das sind nicht meine Gefühle, doch sie haben sich wie eine Zecke
an mir verbissen. Mir fällt es schwer, mich von fremder Aura
abzugrenzen und meine Gefühle nicht dem Außen anzupassen.
Mittlerweile bin ich zumindest wütend. Und enttäuscht.
Die
Corona-Pandemie sorgt seit Monaten für eine Ausnahmesituation,
die beinahe die ganze Welt betrifft. Vor einigen Wochen las ich, dass
Krisen dieses Ausmaßes das Beste im Menschen hervorrufen und nickte
zustimmend, als ich Situationen wie jene vor dem Eiscafé
beobachtete. Nicken scheine ich heute nur noch, wenn ich meinen Kopf
wiederholt gegen die Wand schlage. Denn in Folge der Isolation
verbrachte ich viel Zeit in sozialen Netzwerken. Zu viel Zeit. Keine
Minute hat sich gelohnt und keine Sekunde davon tat mir gut.
Es
geht mir bei diesem Statement nicht um den Wunsch nach Harmonie. Es
geht mir nicht um den Wunsch nach Kritiklosigkeit oder emotionslose
Debatten. Im Gegenteil: Die Situation und die Vorgehensweise in
dieser Krise müssen diskutiert werden. Denn auch das ist Demokratie:
Uneinigkeit, Fehler, Diskurse. Doch es gibt Unterschiede
zwischen Kritik und Hass. Zwischen Anzweifeln und Verachten, zwischen
Meinungsfreiheit und Beleidigung. Ich habe das Gefühl, dass wir
nicht nur eine Corona-, sondern inzwischen auch eine Hass-Pandemie
erreicht haben.
Die
Hass-Blase in der digitalen Kommunikation
Worum
es überhaupt geht? Es geht darum, dass Menschen Morddrohungen
bekommen und beschimpft werden. Es geht um diesen unerträglichen
Überbietungswettbewerb, bei dem "recht haben" mit "besser
sein" gleichgesetzt wird. Es geht um Herablassung und das
Außerachtlassen der Tatsache, dass der Mensch nie frei von Fehlern
sein wird. Es geht um das stupide Einschlagen auf Personen und
Meinungen und es geht um die fehlende Nachsicht mit Menschen, die bei
aller Mühe nicht das schaffen können, was doch ein Großteil von
ihnen erwartet: Die absolute Richtigkeit ihres Handelns für jeden.
Und es geht um den Trugschluss, sich glücklich hassen zu können.
Wahrscheinlich
sollten mich diese verbalen Abgründe gar nicht so sehr überraschen.
Doch die Radikalisierung vieler Kommentare hat aus meiner Sicht eine
neue Dimension erreicht, die mich erschreckt. Denn Hass zerstört
Leben. Das kann ich so sagen, denn ich habe lange Zeit meinen
Hass gegen mich selbst gerichtet und rebelliere ab und an noch immer
gegen mich. Ich bekam meine eigenen Morddrohungen, was schon schlimm
genug war. Bekäme ich solche von anderen Menschen, so würde ich mit
ziemlicher Sicherheit daran zerbrechen. Das dies nun einige Menschen
in der heutigen Zeit wirklich durchleben müssen, ist unmenschlich
und zutiefst beschämend. Ganz egal, welche Meinung sie haben und ob
man mit dieser übereinstimmt oder nicht.
Der
abwärtsgerichtete soziale Vergleich – Abwertung zur
Aufwertung
Hass
ist sicherlich das schädlichste Gefühl, dass der Mensch haben kann.
Denn er besitzt, meiner Ansicht nach, den geringsten Nutzen: Trauer
ist wichtig, um einen Verlust zu verarbeiten. Wut kann uns antreiben,
uns in die Aktivität führen. Hass hingegen täuscht etwas vor, das
oftmals nicht präsent ist, nämlich Dominanz, Selbstbewusstsein und
emotionaler Stärke. Er dient als Kompensation einer
innerlichen Lücke und macht den Anschein, als könne man durch
vermeintliche Erhabenheit etwas wiedererlangen, dessen Fehlen großen
Schmerz verursacht. Fühlen wir uns besser, wenn wir etwas oder
jemanden hassen können? Steigern wir durch unseren Hass unser
Selbstwertgefühl? Ich kenne zumindest niemanden, dem sein Hass zu
Glück und Zufriedenheit verholfen hat.
Vor
einiger Zeit habe ich mal vom abwärtsgerichteten sozialen Vergleich
gelesen. Diese Theorie besagt, dass es belohnend wirkt,
herabzublicken. Genau das machen wir, wenn wir hassen: Wir stellen
uns auf eine andere Stufe, blicken hinab. Allein dadurch, dass wir
jemanden nicht mögen, funktioniert unsere Wertung hierarchisch und
unser Belohnungssystem schlägt aus – zumindest für einen
kurzen Moment. Würden wir nun auf Augenhöhe argumentieren und einen
respektvollen Umgang an den Tag bringen, so klappt das mit dem
Herabblicken nicht mehr so gut und die Belohnung bleibt aus.
Das
bedeutet nicht, dass Hass kein „normales“ Gefühl ist. Im
Gegenteil: Jeder kennt es. Doch soziale Netzwerke sind Plattformen,
auf denen viel Raum ist für Anstands- und Empathielosigkeit.
Das digitale Miteinander scheint überwiegend toxisch, obwohl man
sich nicht darüber hinweg täuschen darf, dass auch konstruktive
Kritik und der höfliche Umgangston seinen Platz finden. Ich hoffe
sehr, dass diese geballte Vergiftung in den Kommentaren einen
falschen Eindruck erweckt über die Wirklichkeit und dass diese
überzogene Hasskultur nur einer kleinen Minderheit zugehörig ist,
die in der Anonymität des Internets Menschen diffamiert, beleidigt
und herabwürdigt. Denn mittlerweile finde ich dieses zu beobachtende
Gegeneinander sehr belastend – insbesondere dann, wenn man dazu
neigt, die äußere Atmosphäre auf die eigene Gefühlswelt zu
übertragen.
Ein
Zitat von Søren Aabye
Kierkegaard
bringt mich immer wieder zum
Nachdenken:
„Der Hass ist die Liebe, an der man gescheitert ist.“
Es
scheint, als sei damit in erster Linie die Liebe für sich selbst
gemeint...
Donnerstag, 30. April 2020
Die Nacht des Grauens - Zwei Katzen, kein Schlaf
Ich
bekam in der Vergangenheit schon mehrmals die Frage, wann es denn
wieder „Katzen-Content“ gäbe. Lange Zeit ist nichts passiert,
was sich zum Verschreibseln anbot. Das hat sich geändert – zu
meinen Ungunsten…
Zur
Vorgeschichte:
Ich habe zwei Katzen: Schnotti (chronischer Schnupfen) und Glimmer (Herzfehler). Letzten
Montag lag ich gemütlich in meinem Bett und schaute Fernsehen, als
Glimmer plötzlich alarmierende Geräusche von sich gab. Es klang,
als würde sie zugleich husten und würgen müssen. Ich lief hin und
sah, dass irgendetwas nicht stimmte. Also nahm ich sie zu mir ins
Bett und streichelte sie, bis es langsam besser wurde. Diese
Geräusche machten mir Angst, weil Glimmer herzkrank ist und Husten
ein Zeichen dafür sein könnte, dass sich ihre Herzleistung
verschlechtert hat. Um die Dramatik vorab aus der Geschichte zu
nehmen: Ihr geht es gut. Ich habe sie ein paar Tage lang beobachtet
und die Beschwerden kamen kein zweites Mal vor. Höchstwahrscheinlich
hatte sie sich einfach nur verschluckt.
Dank
meines liebenden, sich aufopfernden, tief mitfühlenden und jedes
Leid der anderen als sein eigenes annehmenden Mutterherzens entschied
ich mich natürlich und sicherheitshalber dazu, die Katzen
ausnahmsweise bei mir schlafen zu lassen. Normalerweise dürfen sie
den ganzen Tag in mein Schlafzimmer – nur nicht nachts! Das hat
triftige Gründe, die mir auch in dieser Nacht nicht hätten
deutlicher vor Augen geführt werden können...
Die
besagte Nacht des Grauens - Eine Dokumentation
00:30
Uhr:
Ich
bin bereit: Die Zähne sind angezogen, die Schlafsachen geputzt und
ich bin müde. Glimmer ist seit ihrem Husten- und Würgeanfall
unauffällig. Wie jeden Abend gebe ich ihr also ihre Herzmedikamente
und schlürfe Richtung Bett. Die Katzen glotzen blöd, als ich die
Tür hinter mir offen lasse. Ich glotze zurück, rolle mich
Mumien-artig in die Decke, drehe mich auf die richtige Seite und
mache das Licht aus.
00:31
Uhr:
Der
Nachteil an Laminat- anstatt Teppichboden ist, dass er sehr
geräuschempfindlich ist. Der Nachteil an Krallen ist, dass sie
Geräusche verursachen, wenn sie über den Laminatboden tapsen. Die
Katzen wuseln durchs Zimmer. Ich frage mich, wie groß der Raum ist,
um in ihm so viele Schritte machen zu können. Außerdem überlege ich, was es
denn nach acht Jahren im selben Haushalt noch zu erkunden gibt,
weshalb man seine Pfotenabdrücke in scheinbar jede Ecke patschen
muss. Inzwischen, so fällt mir auf, erkenne ich die jeweilige Katze
sogar am Gang – was bei gerade einmal zwei Tieren wohl nicht ganz so
spektakulär ist, wie es klingt.
00:40
Uhr:
Es
raschelt. Und zwar raschelt es so, dass ich das Gefühl bekomme, es
sei nicht gut, dass es raschelt. Nachdem ich fest entschlossen war,
jedes weitere Geräusch zu ignorieren, bin ich mir nun absolut
sicher, dass es nicht rascheln sollte. Also mache ich das Licht
meines Nachttischlämpchens an und entdecke neben mir Glimmers
Hintern, der aus dem Spalt zwischen Bett und Wand emporragt und im
Begriff ist, in jenem vollends zu verschwinden. Ich stehe auf, rücke
das Bett vor und hole die Katze aus der Verschluckungsfalle. Danach
entdecke ich die leere Klebebandrolle, die mir beim Geschenke
einpacken in die Lücke gefallen ist (als ich in einer depressiven Phase alles vom Bett aus gemacht habe) und nach der Glimmer nun scheinbar
heldenhaft gefischt hat. Nachdem ich sie fragte, ob sie vergessen
hat, warum sie beide heute bei mir schlafen dürfen, legt sie sich
ans Fußende und lässt demonstrativ die Augen zufallen.
00:50
Uhr:
Schnotti
hat sich auf meine Füße gestürzt. Sie mag es, Dinge zu jagen, die
sich unter der Decke bewegen. Es war eine blöde Idee, dass ich
hieraus mal ein Spiel gemacht habe und sie nun immer nach Füßen
Ausschau hält, sobald sie aufs Bett springt. Ich bin wach.
00:55
Uhr:
Schnotti
hat ihre Spielzeugmaus mit Glöckchen geholt und spielt Fangen,
während ich mich frage, ob man für zwei chronisch kranke Katzen
noch Geld verlangen könnte. Ich ahne allerdings, dass ich noch
draufzahlen müsste und verwerfe den Gedanken wieder.
01:10
Uhr:
Ich
höre Atem. Ich höre den Atem lauter. Ich spüre Atem. Mein Gesicht
wird angeatmet und es kommen diese typischen Katzen-Tauben-Geräusche,
die sich nicht anders beschreiben lassen, weil es irgendeine
eigenartige Mischung aus Miauen und Taubengurren ist. Sie sind ein
eindeutiges Zeichen für den Unterkuschelungsstatus dieser Katze.
Kurz darauf steckt Schnotti ihr Gesicht in mein Gesicht und reibt
sich. „Köpfeln“, heißt es auch. Ist ja wirklich ganz süß,
wenn Katzen damit ihre Zuneigung zum Ausdruck bringen wollen, aber
doch bitte nicht mitten in der Nacht.
01:25
Uhr:
Nachdem
sich Schnotti millionenfach um die eigene Achse gedreht hat, um die richtige Liegeposition zu finden, muss ich sie nun
dauerkraulen, damit sie nicht wieder mit dieser nervigen Kopfreiberei anfängt.
Ich kann nicht schlafen, wenn ich streicheln muss.
01:50
Uhr:
Die
Katze musste niesen. Ich habe mich zu Tode erschrocken und Glimmer
hat sich zu Tode erschrocken, weil ich mich zu Tode erschrocken habe.
Schnotti ist aufgesprungen, weil es sich im Liegen nicht gut niesen
lässt. Ich muss aufstehen, um mich zu waschen und stelle danach
fest, dass ich nun wirklich richtig wach bin.
01:53
Uhr:
Zwar spricht das Folgende nicht für die Intelligenz dieser Katze, doch ich kann an dieser Stelle einfach nicht unerwähnt lassen, dass ihr etwas sehr, sehr Dummes passiert ist: Nach ihrer Niesattacke musste Schnotti sich
ausgiebig putzen. Als sie mit ihrer Pfote den Schwanz festhalten
wollte, um sich auch dort zu säubern, ist sie mit der Kralle ihrer
Vorderpfote in ihrer Haut hängengeblieben. Sie war mit ihrem Schwanz
im wahrsten Sinne des Wortes fest verbunden. Nachdem ich der
panischen Katze vorsichtig die Kralle aus der Haut gezogen hatte, bekam ich minutenlang immer wiederkehrende, schwere Lachkrämpfe
(ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke).
02:45
Uhr:
Während
ich noch eine Serienfolge bei Netflix geschaut habe, sind beide
Katzen zur Ruhe gekommen und liegen schlafend in meinem Bett. Ich
starte den nächsten Versuch.
03:15
Uhr:
Schnotti
hat Glimmer auf den Kopf gehauen. Dieses Szenario habe ich im Dunkeln
zwar nicht sehen können, doch erkenne ich es inzwischen allein am
Geräusch, da es immer gleich abläuft: Glimmer berührt Schnotti
versehentlich, Schnotti springt auf und haut Glimmer mit der Pfote
auf den Kopf. Für eine kurze Zeit fuchteln beide mit den Vorderpfoten. Danach beginnt Schnotti zu starren, ähnlich wie in diesem Bild...
...und
Glimmer glotzt verstrahlt durch die Gegend, um zu schlichten. In der
Regel springt Schnotti im Anschluss vom Bett und sucht sich
Dummheiten, die sie anstellen könnte. Oder beide beginnen, Fangen zu
spielen. Schnotti hat sich für die Klimper-Maus entschieden.
03:40
Uhr:
Wiederholung
des Szenarios von 01:25 Uhr.
04:20
Uhr:
Es
geschehen noch Wunder. Ich konnte mich auf die andere Seite drehen,
ohne dass Katze Nummer 1 empört aufsprang, und Katze Nummer 2
schläft am Fußende. Mir bleiben ungefähr 20 cm der Matratzenbreite,
um nicht aus dem Bett zu fallen.
04:25
Uhr:
Ich
bin aus dem Bett gefallen.
04:35
Uhr:
Genervt
überlege ich, ob ich nicht einfach wach bleiben sollte. Mein
Gewissen erlaubt es mir nicht, die bereits seit Stunden unauffällige
Glimmer aus meiner Beobachtung zu nehmen und Schnotti treibt mich in
den Wahnsinn, wenn ich nur vorsichtig ans Schlafen denke.
04:45
Uhr:
Nach
reiflicher Überlegung habe ich ein Machtwort gesprochen und
sämtliche Spielzeuge für Katzenkinder unzugänglich gemacht. Danach
habe ich Schnotti in den Schlaf gestreichelt und mir zuvor
ausreichend Platz im Bett gesichert. Glimmer hat sich auf den Sessel
im Erker gelegt und schläft. Ich muss auch schlafen, bevor es hell
wird.
05:00
Uhr:
Ich
habe versehentlich meinen Fuß bewegt…
Mittwoch, 18. März 2020
Coronavirus: Auswirkungen auf die mentale Gesundheit
Die
momentane Krise hinsichtlich des Coronavirus, das zurzeit in
aller Munde ist, verursacht viele berufliche und private Krisen.
Einige fürchten um ihre Existenz, andere sind aufgrund von viel Arbeit völlig
überlastet. Nun stehen wir möglicherweise kurz vor einer
Ausgangssperre, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und das
Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten. Neben den vielen individuellen
Schicksalen, die die aktuelle Situation mit sich bringt, wäre eine
solche Ausgangssperre auch ein großes Problem für viele Menschen
mit psychischen Erkrankungen. Auch hierüber muss gesprochen
werden.
Täglich
verfolge ich inzwischen die Informationen, die das Robert
Koch-Institut kommuniziert und noch öfter ärgere ich mich, wenn
ich die vielen Kommentare in den sozialen Netzwerken verfolge.
„Panikmache“, „Schaut euch doch die Zahl der
jährlichen Grippe-Toten an“, „Ich bin gesund, also
schränke ich mich auch nicht ein“, liest man immer wieder. Ich
möchte hierzu kein Fass aufmachen, nur eines loswerden: In erster
Linie geht es nicht darum, das Virus aufzuhalten, sondern die
Ausbreitung von Covid-19 zu verlangsamen, damit unser
Gesundheitssystem nicht so zusammenbricht, wie es in Italien der Fall
ist. Die katastrophalen Folgen, die ein Scheitern dieses
Vorhabens/dieser Verlangsamung mit sich bringt, können wir dort
beobachten. Somit geht es nicht um den Einzelnen, sondern darum, die
Risikopatienten zu schützen, dessen Versorgung bei einer zu
schnellen Ausbreitung unter Umständen nicht mehr gewährleistet
werden kann.
Soziale Isolation und ihre mentalen Folgen
Durch
die Klinikaufenthalte, die ich aufgrund von psychischen Erkrankungen
hatte, lernte ich viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen
kennen. Häufige Symptome der mentalen Belastungen: Sozialer
Rückzug, Antriebslosigkeit, Einigelung – aber auch Probleme mit
dem Alleinsein. All diese Symptome könnten nun für viele
Menschen, die mit psychischen Krankheiten zu kämpfen haben,
hinsichtlich der Einschränkungen des öffentlichen Lebens und einer
möglichen Ausgangssperre zum großen Problem werden.
Seit
vergangenem Montag wurde auch der Unterricht im Rahmen meiner
Ausbildung abgesagt. Wir haben, wie viele andere auch, nun zunächst
bis nach den Osterferien frei. Das ist eine lange Zeit. In solchen Freizeiten habe ich ohnehin
Schwierigkeiten, morgens aufzustehen, aktiv zu werden, in den
Tag zu starten. Ein Problem, mit dem ich nicht alleine bin.
Zudem
wohne ich nur mit meinen Katzen in einer Wohnung, weshalb ich mich
zeitweise weder woanders einquartieren kann, noch habe ich Anreize
von außen, morgens aus dem Quark zu kommen. Diese Anreize
muss ich mir somit selber schaffen – das funktioniert auch hin und
wieder, solange sich diese Freizeit nicht über einen langen Zeitraum
erstreckt.
In Anbetracht eben dieser Symptome, die bei psychischen Erkrankungen häufig vorkommen können, lässt sich leicht vorstellen, dass eine soziale Isolation oder zumindest eine Einschränkung in dieser Richtung mehr als herausfordernd für Menschen ist, die mit solchen Schwierigkeiten bereits in ihrem normalen Alltag zu kämpfen haben.
Hilfestellungen
für Menschen mit psychischen Erkrankungen
Es
ist nun besonders wichtig für Menschen, die hinsichtlich einer
möglichen Ausgangssperre über ihre mentale Situation besorgt sind,
sich vorzubereiten. Im Folgenden habe ich zehn Vorschläge
gesammelt, um die Zeit zu Hause schneller verstreichen zu lassen:
1.
Kontakthaltung über Technik: Wir haben das große Glück,
dass uns die heutige Technik ermöglicht, auch von zu Hause aus
Kontakt zu unseren Mitmenschen zu halten – und das nicht nur übers
Telefon. Es ist wichtig, schon jetzt die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, mit jedem z.B. auch Kontakt per Videotelefonie halten zu
können.
2.
Wiederentdecken/Ausprobieren: Gibt es Dinge,
die du einst gerne gemacht hast oder immer schon mal ausprobieren
wolltest? Malen, zeichnen, ein bestimmtes Buch lesen, einen Podcast
aufnehmen, schreiben, basteln. Das alles sind Dinge, für die bald
Zeit sein könnte und in die man sich richtig vertiefen kann.
3.
Frühjahrsputz: Der Frühling steht vor der Tür. Ich muss
leider zugeben, dass ein Frühjahrsputz ein guter Zeitvertreib wäre,
weshalb ich mir bereits vorsorglich alles Mögliche an Putzutensilien
besorgt habe.
4.
Sport: Hometraining ist nicht jedermanns Sache. Soll aber
helfen. Hab‘ ich gehört.
5.
Tabletten sortieren: Das schreibe ich eigentlich nur, um daran
zu erinnern, schon einmal seine Rezepte zu besorgen, bevor es nervig
wird.
6.
Bullet Journal: Ich sehe immer wieder Menschen, die in der
letzten Zeit ein Bullet Journal begonnen haben. Ein Bullet Journal
ist ein höchst individueller Terminkalender und Alltagsplaner, in
dem man auch seine ganz persönlichen Eindrücke festhalten kann.
Hiermit lässt sich die ein oder andere Stunde sicher gut verbringen.
Aber nicht vergessen: Ohne Buch kein Bullet Journaling!
7.
Häkeln/Nähen: In der Klinik wurden immer wieder Häkel-
und Nähkurse angeboten und ich habe beobachtet, dass auch Menschen,
die dies zuvor konsequent abgelehnt haben, die Nadel nicht mehr aus
der Hand legen konnten.
8.
Wohlfühl-Oase für zu Hause: Badesalze, Peelings,
Gesichtsmasken, Wellness, Düfte und Aromen. Man könnte die Zeit
doch mal für Dinge nutzen, die entspannen und guttun.
9.
Spiele: Hat früher auch jemand gerne Sims gespielt? Den
Zauberwürfel gelöst? Pokémon? Mario Kart? Age of Empires?
10.
Haustiererziehung, -förderung und -forderung:
Intelligenzspiele, Kommandos oder einfach eine ausgiebige
Beschäftigung mit dem Tier kann für Abwechslung sorgen.
Dies sind Beispiele, die zeigen: Es gibt viele Möglichkeiten, Zeit in den eigenen vier Wänden
zu verbringen. Das bedeutet zwar nicht gleich auch, dass das eine
einfache Zeit wird, aber zumindest können wir Dinge ausprobieren
und uns vorbereiten, indem wir die Voraussetzungen hierfür
schon jetzt schaffen. Zumindest wäre das eine Chance für jeden, der
Angst vor Einsamkeit und Isolation hat.
Ganz
egal, ob es nun zu einer Ausgangssperre kommt oder nicht: Wir müssen
nun solidarisch und rücksichtsvoll sein. Das bedeutet,
sich einzuschränken und mehr Zeit zu Hause zu verbringen, an seine
Mitmenschen zu denken und sich gegenseitig dabei zu helfen, so gut es
geht durch die nächsten Wochen zu kommen. Wir müssen daran denken,
dass es Menschen gibt, die ihre berufliche Existenz verlieren und
welche, die jeden Tag für uns weiter arbeiten. Solche, die große
Angst haben und jene, die unter der Situation aufgrund ihrer
psychischen Belastungen leiden. Und dann gibt es noch diejenigen, die
als Risikopatienten besonders geschützt werden müssen. Also
lasst uns doch lieber einander helfen, als dass wir böse Worte in
der digitalen Welt verlieren und uns gegen etwas sträuben, das
gerade jetzt so wichtig für jeden ist.
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Mittwoch, 26. Februar 2020
Ein guter Tag, verrückt zu werden

Beängstigend sind nicht die
Verrückten dieser Welt. Es ist die Welt selbst, die uns verrückt
werden lässt.
Verrücktsein
als Abweichung von der Norm
Der
Kaffee schmeckt besser als sonst. Er schmeckt besser, weil ich ihn
nicht, wie üblich, mit der laktosefreien Milch vermischte. Ich habe
keine Laktoseintoleranz und doch nahm ich jahrelang jene Milch, von
der ich dachte, sie sei schonender für den Magen- und Darmtrakt.
Heute bin ich ver-rückt – was eigentlich nur bedeutet, dass ich
von meiner Routine abgewichen bin. Es ist gut, verrückt zu
sein. Zumindest dann, wenn ich nicht gleich eilen muss, um mich
meiner Milch im unangenehmen Stil zu entledigen.
Wenn
wir jemanden als verrückt bezeichnen, dann meinen wir damit
oftmals, jemand hätte „einen Knall“, „nicht alle
Tassen im Schrank“ oder „den Schuss nicht gehört“.
Und das wiederum bedeutet auch nichts anderes, als abzuweichen von
einer Norm, die wir Menschen selbst erschaffen haben. Bestimmten
Regeln und Konventionen nicht anzugehören, die sich in unserer
Gesellschaft etabliert haben. Wie auch immer das im Einzelfall
aussehen mag. Verrückt sind die, die in der Unterzahl sind. Ist es
schlecht, zu den Wenigen zu gehören?
William
Shakespeare sagte damals:
„Besser, ich wär‘ verrückt.
Dann wär‘ mein Geist getrennt von meinem Gram,
und Schmerz in eiteln Phantasien verlöre
Bewußtsein seiner selbst.“
Während
das Verrücktsein schon lange kein eindeutiger Begriff mehr ist,
bezieht sich Shakespeare in seinem Zitat auf die Geisteskrankheit.
Auf das Verrückt, bei dem dein Umfeld davon ausgeht, etwas
funktioniere nicht richtig in deinem Oberstübchen. Auf den Wahnsinn.
Und
auch ich frage mich manchmal, ob der Wahnsinn nicht einfach eine
intelligente Art der Flucht
aus der Realität ist. Wenn Realität Schmerz bedeutet, ist das
Verrücktsein dann nicht schützende Medizin? Ein tröstlicher
Gedanke. Vielleicht ist es aber auch verrückt, Heilsames im Irrsinn
zu suchen. Oder einfach Ausdruck von Verzweiflung.
Das
Verrücktsein als Wahnsinn macht so gesehen den Anschein, als müsse
man erst krank werden, um sich gesund zu fühlen. Als sei der Irrsinn
eine gute Strategie des Geistes, dem Leben und seinen
Eigenheiten standhalten zu können. Ein trauriger Widerspruch, der
die Verzweiflung manches Verstandes offenbart. Gleichwohl sollte uns
das auch bewusst machen, dass die Norm kein Synonym für „gut“
oder „richtig“ ist. Was würde sich der Mensch auch
anmaßen – ist er doch selbst für die Existenz jener Norm
verantwortlich. Oder?
Salvador
Dalí sagte einst: "Der einzige Unterschied zwischen mir und
einem Verrückten ist der, dass ich nicht verrückt bin.“
Viele
nehmen es mit dieser Norm sehr genau. Zum Beispiel dann, wenn sie
Andersartigkeit bestrafen. Es scheint nicht immer
erstrebenswert, zu ver-rücken, wenn die Folge dieser Abweichung
Ausgrenzung und Abwertung ist. Wenn die Entscheidung darüber, wen
man liebt, auch gleichsam das Urteil bedeutet, wie viel Wert man in
der Gesellschaft hat, dann fange ich an, den Wahnsinn und seinen Sinn
besser zu verstehen. Es fürchtet mich der Gedanke, in einer Welt zu
leben, in der es immer und immer wieder darum geht, bewertet und
verglichen zu werden, klüger zu sein, schneller zu sein, besser zu
sein als der andere, um damit den persönlichen Wert für die
Menschheit zu bestimmen.
Auf
der anderen Seite scheint es hip, etwas crazy zu sein. So ein
bisschen mehr bekloppt und ein bisschen weniger „normal“.
Zumindest dann, wenn man an der „richtigen“ Stelle
abgewichen ist – denn das wiederum ist ausschlaggebend dafür, ob
das Abweichen von der Norm gesellschaftlich zumindest überwiegend
akzeptiert wird oder nicht. Überlegen wir uns also genau,
wann und wie und wo wir verrückt werden und was das im Zweifelsfalle
für uns bedeutet. Denn machen wir uns nichts vor: Wir leben hier,
wir leben jetzt und wir leben unter genau diesen Umständen. Und da
wir kein Veto für ein anderes Leben haben, keine andere Welt,
in die wir wechseln können, müssen wir hinnehmen oder eben
verrücken. Auf welche Art und Weise und mit welchen Konsequenzen
auch immer.
Verrücktsein
als Möglichkeit zur Veränderung
Ob ein Mensch verrückt ist, hängt
letzten Endes also auch immer davon ab, wen man fragt. Ich mag die
Idee, dass jedes Verrücktsein in seiner einfachsten Form erst einmal
bedeutet, von einer Norm abzuweichen – nicht mehr und nicht
weniger, fernab von der Komplexität, die sich auftut, wenn man
weiter in die Tiefen der Philosophie eintaucht. Ich mag die pure
Wortwörtlichkeit des Begriffes, denn im Ver-rücken schwingt doch
auch etwas Aktives mit, eine Handlung, eine Bewegung als
Gegensatz zu Lethargie und Stillstand. Und Aktivität ist es, die den
Weg zur Veränderung ebnet. So gesehen scheint es doch eine
lohnenswerte Möglichkeit, zu verrücken, wenn man sich in einem
quälenden Zustand befindet, der anders werden soll.
Heute ist ein guter Tag, um
verrückt zu werden, dachte ich und trank meinen Kaffee anders
als sonst. Ja, vielleicht ist er das.
Ganz bestimmt aber ist heute ein guter
Tag, um zu verrücken.
Sonntag, 17. November 2019
Ein Gedicht - Du bewegst...
Leben ist Geschichte schreiben, ich schreib‘ nur, dass Leben fehlt,
Stille schreit mir ins Gesicht, lass dich nicht häng‘, steh wieder
auf,
jeder Weg, der runter führt, geht auch wieder rauf.
Du würdest mir jetzt sagen: „Ich verstehe, wie‘s dir geht“
und du würdest nicht betonen, dass all die Schwere auch vergeht,
denn du hältst was du versprichst, weil du nur sagst, was du auch
halten kannst
und jede hohle Phrase wirbelt Staub auf, in dem Zweifel tanzt.
Am Ende unserer Welt, hab‘ ich Geschichte doch geschrieben,
Gedanken malen Erinnerungen, ein Lächeln ist geblieben,
du hast Seiten bunt bemalt und meine Zeit belebt.
Und wenn der Vorhang fällt, roll‘ ich den roten Teppich aus,
Chöre singen laute Lieder und klatschen dir Applaus,
Menschen haben dich begeistert – und du hast sie bewegt.
Deine Seele strahlt nach außen,
dein Herz wärmt jeden Raum,
du sagst, wir können alles schaffen, wir müssen uns nur trauen,
denn für
dich gibt es keine Grenzen, wenn sie nicht selbst gezogen sind,
du bist ein Vogel auf der Reise, der mich an seine Seite nimmt.
Wenn ich im Tunnel einsam stehe und am Ende nichts mehr brennt,
Fremdes hat
den Reiz verloren und Trautes
scheint mir fremd,
dann kommst du tanzend aus dem Regen mit dem Streichholz in der Hand,
hast die Lösungen längst gefunden, als ich Probleme erst verstand.
Am Ende unserer Welt, hab‘ ich Geschichte doch geschrieben,
Gedanken malen Erinnerungen, ein Lächeln ist geblieben,
du hast Seiten bunt bemalt und meine Zeit belebt.
Und wenn der Vorhang fällt, roll‘ ich den roten Teppich aus,
Chöre singen laute Lieder und klatschen dir Applaus,
Menschen haben dich begeistert – und du hast sie bewegt.
Auch du kannst manchmal zweifeln, nicht alles fällt dir leicht,
deine Gedanken spielen dir Streiche, sodass auch du dich mal
vergleichst
und wenn du wanderst durch die Nacht, auf der Suche nach dem Mond,
dann weißt du mitten auf dem Weg, wofür sich das Suchen lohnt.
Deine Gefühle sind wahrhaftig, dein Lachen steckt mich an,
selbst deine Tränen sind so klar, dass ich mich in ihnen sehen kann,
deine Sätze sind berührend, deine Worte sind vertraut,
durch dich finde ich die Kraft, damit ich wieder an mich glaub‘.
Am Ende unserer Welt, hab‘ ich Geschichte doch geschrieben,
Gedanken malen Erinnerungen, ein Lächeln ist geblieben,
du hast Seiten bunt bemalt und meine Zeit belebt.
Und wenn der Vorhang fällt, roll‘ ich den roten Teppich aus,
Chöre singen laute Lieder und klatschen dir Applaus,
Menschen haben dich begeistert – und du hast sie bewegt.
Samstag, 25. Mai 2019
Das Leben ist eines der schwersten...
„Das
Leben ist eines der schwersten“, sagte mein Opa immer mal
wieder, als er noch lebte. Oft lächelte er dabei müde, manchmal
seufzte er nur angestrengt. Wenn sein Blick zum Fenster hinaus ins
Leben fiel, saß er dort, gedankenverloren in seinem Sessel, und
schüttelte den Kopf. Immer wieder, über Jahre hinweg. Ich fragte
mich, was er wohl dachte. Doch ihn – ihn fragte ich nicht.
Bittere
Vergänglichkeit...
Nun
sitze ich hier, auf meinem Stuhl in der Küche, auf der Kante meines
Bettes, in dem Sessel meines Erkers – und schüttele den Kopf.
„Das Leben ist eines der schwersten“, denke ich, während meine
Augen mit starrem Blick ins Leere schweifen. Wenn ich glaube zu
wissen, was er meinte, ermahne ich mich rasch: Ich habe noch immer
wenig Ahnung von seinen Gedanken. Doch wenigstens weiß ich nun, was
ich mir selbst damit sagen will.
Je
älter mein Opa wurde, desto mehr erzählte er mir aus seinem Leben.
Wenn er erst einmal zu reden begann, so war er kaum zu bremsen. Mit
der Zeit wiederholten sich seine Geschichten,
doch die Freude am Erzählen wurde jedes Mal stärker und
spürbarer. Er ärgerte sich, wenn ihm ein bestimmtes Datum nicht
mehr einfiel, zu dem sich seine Geschichte ereignete. Während mir
nicht mehr einfällt, wann und wo ich zuletzt Urlaub machte, konnte
er sich an Ereignisse erinnern, die über 50 Jahre in der
Vergangenheit liegen. Sein Leben war so bewegt, wie er mich
bewegte.
Geschichten
vom Krieg
„Während
des Krieges bin ich drei Mal abgesoffen“, erzählte er mir immer
wieder. Einmal harrte er stundenlang im kalten Wasser aus, bis
Rettung kam. Damals arbeitete er als Sanitäter bei der Marine
und erlebte Dinge, die heutzutage nicht mehr vorstellbar sind. Er sah
Bilder, die ich nicht mal im Traum erzeugen könnte.
An
eine Geschichte erinnere ich mich noch sehr gut: Als er sich mit
einem Kollegen an Bord unterhielt, sackte dieser plötzlich zusammen.
Mein Opa bückte sich, wusste nicht, was los war und hielt seinen
Kopf. Und dann – dann hatte er das Gehirn seines Kollegen in der
Hand. Es war ein Kopfschuss, durch den er starb. Dieser Mann
war nicht der Einzige, den mein Opa während des Krieges sterben sah.
Als Sanitäter begleitete er viele in den Tod und ist diesem selbst
oft von der Schippe gesprungen.
All
diese Erlebnisse, die für ihn Realität bedeuteten, erzählte
er nicht mit Wut und Trauer. Er erzählte sie mit Enthusiasmus, mit
Feuer in den Augen, lebendig. So viel Furchtbares hatte er
durchgemacht – und doch hatte ich das Gefühl, als leide er mehr
unter dem Leben, das er nun führte. Ein ruhiges Leben als
Pensionierter. Nach dem Krieg machte er Karriere, hatte eine hohe
Stellung und viel Arbeit als Kommissar. Auch dort sah er Leichen,
Elend, Kriminalität. Doch er war erfolgreich in seinen Aufgaben und
zufrieden mit seinem Handeln.
Verlust
von drei Kindern
Mit
meiner Oma bekam er vier Kinder. Sein Sohn starb mit nur acht Jahren
an Krebs. In den darauffolgenden Jahren musste er den Tod von zwei
Töchtern durchleben. Er verlor drei von vier Kindern, bis er starb.
Ich weiß nicht, warum er so oft und still den Kopf schüttelte. Ich
weiß nur, dass er jedes Recht dazu hatte.
Wenn
ich auf meiner Bettkante sitze und den Kopf schüttele, dann frage
ich mich oft, welches Recht ich hierzu habe. Ich könne doch
froh sein, nicht den Hauch einer Ahnung von dem zu haben, das für
meinen Opa Realität bedeutete. Als er noch lebte, war ich nicht sehr
redefreudig – denn ich wusste nicht, worüber ich sprechen sollte.
Alles kam mir nichtig vor, nicht erwähnenswert, unaufregend.
Und damit entschied ich nicht nur für mich, sondern auch für ihn:
Er durfte nicht selbst darüber urteilen, was er an meinem Leben
interessant fand, weil ich zuvor den Filter durchlaufen ließ.
Als
ich 2015 aufgrund meiner psychischen Probleme in die Klinik
ging und daraufhin mein Studium abbrach, sprach ich nicht mit ihm
darüber. Er erfuhr vieles durch meine Mama und wir wussten, dass er
mit der „Depression“ nicht viel anfangen konnte. Einfach, weil er
in einer Zeit aufwuchs, in der psychische Erkrankungen kein bewusstes
Thema waren. Als ich anfing, über meine Gedanken und meine Krankheit
zu schreiben, gab ich ihm ein paar Texte meiner Webseite – das half
ihm, wenigstens einen Teil meiner Gefühle nachvollziehen zu können.
Ein intensives Gespräch darüber führten wir jedoch nie, weil ich
Angst hatte, mich erklären zu müssen und nicht die richtigen
Worte zu finden. Und auch, weil es mir zu emotional, zu nah gewesen
wäre. Ich weiß, dass er traurig darüber war. Ich bin es auch.
„Das
Leben ist eines der schwersten!“
Mein
Status Quo ist freudlos. Ich kämpfe mit dem Leben, fühle mich
überfordert und inkompatibel. Ich habe nichts zu erzählen und
deshalb ist es still geworden. Ich langweile mich selbst. Ich bin
unzuverlässig, habe mich sozial zurückgezogen, antworte nicht auf
Nachrichten und verbringe den Großteil der Zeit damit, diese so
schnell wie möglich vergehen zu lassen. Und ich versuche, mich nicht
für diese Qual zu verurteilen – denn eigentlich…
eigentlich müsste ich glücklich sein über das Leben, das ich
führen darf. Doch das bin ich nicht. Diese Gedanken sind nicht fair
und ich würde jeden außer mir ermahnen, bei Gefühlen von Recht und
Unrecht zu sprechen. Dennoch muss ich aufpassen, nicht wütend auf
mich zu werden, weil fast jede meiner Poren von Unglück zerfressen ist. Manchmal sehe ich
Licht und manchmal kommt der Zug. Manchmal fehlt mir ein Mensch
und manchmal fehlt er mir noch mehr. Doch es gibt auch Dinge, die
funktionieren – und ich arbeite daran, dass ich diese
aufrechterhalten kann.
„Das
Leben ist eines der schwersten“, sagte mein Opa immer wieder –
und sage auch ich.
Sonntag, 14. April 2019
Jeder ist seines Glückes Schmied - oder?
Wir
stellen uns vor, das Leben sei eine Landkarte. Es gibt unendlich
viele Wege und Ziele. Jeder Weg, jede Richtung, ist eine
Entscheidung, die wir treffen. Wir können nicht alle Wege gehen,
doch wir können Teile von uns auf eine Reise schicken. Es
gibt Abzweigungen, Tunnel und unbekannte Pfade. Nichts ist
vorgeschrieben, nichts ist Gesetz. Nur das Ende, das ist sicher.
„Jeder
ist seines Glückes Schmied.“

Mir
ist das zu kurz gedacht, obwohl ich auch oft dazu neige, jeden
Gedanken wie Kaugummi in die Länge zu ziehen. Vielleicht will ich
mir die mögliche Wahrheit der Aussage auch einfach nicht eingestehen
– denn das würde wohl bedeuten, dass ich in meinem Leben noch
nicht sehr engagiert geschmiedet habe. Bin ich die falschen Wege
gegangen, habe ich die falschen Entscheidungen getroffen? Habe ich
mir nicht genug Mühe gegeben, ein glücklicher und
erfolgreicher Mensch zu werden?
Mich
frustrieren diese Gedanken, denn irgendwie sagen sie mir doch, ich
sei selbst daran Schuld, ein überwiegend unzufriedenes,
unglückliches Leben geführt zu haben. Gleichzeitig muss ich meine
Gedanken korrigieren: Es geht bei all dem nicht um Schuld. Denn wenn
wir immer das bestmögliche Handwerkszeug zur Verfügung hätten und
zu jeder Zeit wüssten, wie wir es einzusetzen haben, um unser
persönliches Glück zu erfahren – dann würden sich wohl sehr
viele Probleme vieler Menschen auf einen Schlag erübrigen. Und so
erinnere ich mich daran, in manchen Situationen der Vergangenheit
einfach auch mal gern eine Gebrauchsanweisung gehabt zu haben,
um nicht ganz so überfordert mit meiner Verantwortung vor meinem
Unglück zu stehen.
„Die
Entscheidung ist der Zukunft Ursprung.“
Wenn
jeder seines Glückes Schmied wäre, dann würde das unerschöpfliche,
absolute Macht und Handlungsfreiheit bedeuten. Doch –
und darüber wird hinweggetäuscht – wir haben keine Macht über
das Unvorhergesehene, auch wenn wir uns das oftmals wünschen würden.
Situationen kommen, Dinge passieren, Zeit vergeht. Vieles, das uns
von außen zugetragen wird, befindet sich außerhalb unserer
Kontrolle. Sei es ein plötzlicher Verlust, ein Unfall, eine
Krankheit. Wenn es dann darum geht, den bestmöglichen Umgang
mit der Situation zu finden, dann fehlt uns ab und an auch mal der
passende Hammer für den Nagel oder der richtige Bohrer für die
Dübel. Das hat zur Folge, dass es eben auch Augenblicke gibt, in
denen wir nicht den Hauch einer Ahnung haben, wie wir unsere kleine
Welt wieder zusammenbauen sollen. Und somit auch nicht, wie wir
glücklich werden sollen.
Um
die Gedanken abzukürzen und nicht wieder in der unendlichen Weite
der Philosophie zu landen (denn dort verlaufe ich mich regelmäßig):
„Die Entscheidung ist der Zukunft Ursprung“,
das wäre ein Satz, der zumindest auf mich jene motivierende Wirkung
hätte, die ich beim Ausgangszitat vermisse. Wir treffen jeden Tag
Entscheidungen. Einige sind kleiner, andere sind von größerer
Tragweite. Mit jeder Entscheidung können wir unsere Zukunft zwar
nicht sicher formen, doch wir haben Einfluss auf die Richtung,
in die es gehen kann. Damit besitzen wir nicht automatisch völlige
Handlungsfreiheit, aber sehr wohl einen gewissen Handlungsspielraum,
innerhalb dessen wir Einfluss nehmen und Voraussetzungen schaffen
können.
Der
Unterschied von Schuld und Verantwortung
Was
ich damit sagen will: Natürlich sind wir verantwortlich für
unser Leben. Für die Entscheidungen, die wir treffen, für
unser Handeln und unser Abwarten. Doch wir dürfen eben auch nicht
vergessen, dass die Fähigkeit, sein Leben voll und ganz selbst zu
kontrollieren, Grenzen besitzt. Die Vorstellung, dass das Glück
immerzu ein Ergebnis der eigenen Lebensgestaltung sei, ist
illusorisch. Das soll nicht entmutigend klingen, im Gegenteil: Es
soll uns die Gelassenheit geben und den Mut zur Akzeptanz, auch mal
machtlos und verzweifelt sein zu dürfen, ohne dass dies gleichzeitig
Ausdruck eines Scheiterns an uns selbst darstellt. Mit dieser
Sichtweise geben wir uns die Möglichkeit, einen verständnisvolleren
Umgang mit uns selbst zu finden. Und erst dann gehen wir von der
Passivität einer Schuldzuweisung hin zu einer Realität, in der wir
die Verantwortung tragen für die Entscheidungen, die wir treffen –
nicht immer jedoch für das Ergebnis, das sich durch den Status Quo
unseres Lebens abzeichnet.
Und
so sage ich mir: Ich bin nicht Schuld an dem Leben, das ich bisher
geführt habe – ich trage nur die Verantwortung für die
Entscheidungen, die ich traf, treffe und noch treffen werde. Das
ist der Unterschied.
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Dienstag, 9. April 2019
Perspektivwechsel - Glimmers Sicht der Dinge
Um
die erste Schock-Nachricht gleich zu Beginn zu verkünden: Ich bin
adoptiert. Das ist auch der Grund, warum Mama und ich uns nicht sehr
ähnlich sehen. Und auch auf kommunikativer Ebene hinkt es gewaltig.
Ich kann mir den Mund fusselig reden – die versteht mich einfach
nicht. Wahrscheinlich hat sie eine andere Rasse, die nicht so weit
entwickelt ist. Das hängt mit der Evolution und so zusammen.
Mit
meiner Schwester, Schnotti, bin ich auch nicht verwandt. Zum Glück.
Ich muss immer wieder feststellen, dass sie irgendwie komisch ist.
Manchmal komme ich nichtsahnend ins Zimmer und diese Irre springt
mich von hinten an. Also normal ist das nicht. Danach rennt sie durch
die gesamte Wohnung und läuft gegen Gegenstände, weil sie auf dem
Laminat nicht rechtzeitig bremst. Also mir passiert das nie. Selten.
Auf jeden Fall nicht so oft wie ihr.
Früher
dachte Mama, ich sei die intelligentere Katze von uns beiden. Hihi,
da habe ich sie ganz schön hinters Licht geführt. Eigentlich, so
glaube ich, bin ich nämlich überhaupt nicht schlau. Mir passieren
andauernd Dinge, die ich zuvor nicht geplant hatte. Letztens, da bin
ich aus Versehen an den Wasserhahn gekommen, als ich in die Badewanne
gesprungen bin. Daraufhin schoss das Wasser aus dem Duschkopf und hat
mich klitschnass gemacht. Es sollte keine große Überraschung sein,
dass ich dabei panisch geworden bin und so schnell wie möglich
wieder aus der Wanne wollte. Doch es wurde so nass und glitschig,
dass ich ständig ausrutschte.
Mama
schien sich ziemlich erschrocken zu haben, weil sie dachte, einer der
schweren Wandschränke wäre heruntergefallen. Zumindest kam sie nur
halb angezogen aus ihrem Zimmer gestolpert, als ich es gerade mit
letzter Kraft alleine herausschaffte. Dann lachte sie mich aus und
sagte, ich sähe aus wie ein begossener Pudel. Wir haben uns kurz
gestritten, als ich zum Abrubbeln kommen sollte, aber danach war
alles wieder gut. Seitdem gehe ich nicht mehr so gerne in die
Badewanne.
Gott
sei Dank hat Mama dafür gesorgt, dass sie nicht mehr so oft niesen
muss. Manchmal, wenn der Schnupfen schlimmer wird, fahren sie zu
diesem unheimlichen Mann mit den Nadeln. Aber wenn Schnotti wieder da
ist, dann geht es ihr viel besser.
Tja,
und dann wäre da noch Mama. Ich glaube, ich bin süchtig nach ihr,
weil sie mich so gut krabbeln kann. Ich muss dann zusehen, dass ich
nicht zu aufdringlich werde. Wenn wir ins Bett gehen, dann springe
ich immer gleich auf ihre Schulter. Sie sagt dann ständig, eine
Bombe würde einschlagen, weil ich mich wohl ziemlich dumm dabei
anstelle. Wenn Schnotti noch dazu kommt, kann sie sich überhaupt
nicht mehr bewegen und brummelt genervt vor sich hin. Meistens dürfen
wir aber trotzdem liegen bleiben.
Ich
glaube, Mama geht es oftmals nicht so gut. Morgens, wenn ihr Wecker
klingelt, steht sie manchmal einfach nicht auf. Ich merke, wie sie
mit sich ringt und versucht, ein Bein aus dem Bett zu bekommen. Uns
Katzen wird nachgesagt, dass wir eine ziemlich sensible Wahrnehmung
haben – deshalb merken wir sehr schnell, wenn etwas nicht stimmt.
Wenn
sie von der „Schule“ kommt, dann ist sie meistens fix und fertig.
Es scheint dort sehr anstrengend für sie zu sein, auch wenn es ihr
grundsätzlich gut gefällt. Zumindest hat sie sich kürzlich so
komische Nadeln bestellt, die sie sich selbst in die Haut sticht. Sie
meinte, das hätte sie gelernt und müsse jetzt geübt werden. Mich
stört das, weil ich währenddessen nicht auf ihren Schoß darf.
Natürlich versuche ich es dennoch ab und zu… hihi.
Schnotti
und ich vermuten, dass in Mama etwas kaputt ist oder nicht mehr
richtig funktioniert. Sie grübelt sehr viel und hat oft so schlechte
Gedanken und Gefühle. Ich glaube, sie hat noch nicht die Freude am
Leben gefunden. Oder an sich selbst. Wenn ich mit ihr schmuse, dann
spüre ich den Kloß in ihrem Hals. Manchmal ist er kleiner, manchmal
größer – aber er ist immer da. Das Herz schlägt dann schneller
und die Luft lässt sich schwerer ein- und ausatmen. Wenn es zu
schlimm wird, dann schluckt sie eine Tablette und wird danach etwas
ruhiger.
Vor
längerer Zeit war Mama mal in einer Klinik. Wir waren erleichtert,
als sie endlich auch mal zu einem Menschen ging, der so ähnlich war
wie der Mann mit den Nadeln. Seitdem kümmert sie sich mehr um ihre
Gesundheit. Viele Menschen scheinen ein Problem damit zu haben, sich
Hilfe von außen zu holen. Ich verstehe das nicht. Als ich kahle
Stellen an meinen Pfoten hatte, ist Mama mit mir zu einem Mann
gefahren, der mir eine Salbe gegeben hat. Danach hörte das Jucken
auf und mir ging es wieder besser. Wer weiß, wie ich ansonsten heute
ausgesehen hätte. Vielleicht wie eine dieser Nacktkatzen.
Mama
hat uns mal erzählt, dass sie so oft traurig ist und dass jeder Tag
eine neue Herausforderung für sie darstellt. Und auch, dass ihre
Stimmung dauerhaft unter dem „Normallevel“ ist. Es gäbe zwar
auch einige Ausschläge nach oben, doch diese würden nicht wirklich
tief wirken. Sie haben keinen langanhaltenden Effekt. Nach einem
schönen Treffen kämpft sie bereits mit dem Nachhauseweg, weil es ihr
direkt nach der Situation wieder sehr schlecht geht. Umso schwerer
fällt es ihr dann eben auch, schöne Momente schmerzfrei
loszulassen.
Wegen
solcher Gefühle fällt es ihr übrigens auch schwer, regelmäßig zu
schreiben, obwohl sie das so gerne machen würde. Doch immer dann,
wenn sie unkreativ ist, macht sie das wütend. Und diese Wut kann sie kaum aushalten.
Naja,
so kam es eben, dass ich heute für sie geschrieben habe. Sie sagte
mal, manchmal hilft es, die Perspektive zu wechseln. Ich glaube, dass
das wahr ist. Nur Schnottis Perspektive möchte ich nicht so gerne
einnehmen – das wäre mir wirklich, wirklich etwas zu gruselig…
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Donnerstag, 21. März 2019
Die (Un-)Logik der Depression
Es
war Donnerstag. Um 7:45 Uhr klingelte der Wecker. Inzwischen gebe ich
mir keinen zeitlichen Puffer mehr, um aufzustehen. Druck hilft
mir, in Gang zu kommen. Manchmal.
Fern
von Logik und Verständnis
Heute
nicht. Dieser Tag war viel mehr eine Aneinanderreihung von Dingen,
die nicht funktioniert haben. Das, was sich dabei in meinem Kopf
abspielte, ergibt augenscheinlich nicht den Hauch eines Sinns. Deshalb
finde ich es wichtig, gerade diese inneren Konflikte zu
dokumentieren – eben weil ihr Inhalt und ihre Ausprägung auf den
Alltag so schwer sind, verständlich bzw. nachvollziehbar nach außen
zu kommunizieren.
Eine
Erkrankung, das müssen wir verstehen, hat nicht immer etwas mit
Logik zu tun. Es gibt Dinge, die sich nicht mal eben begreifen
lassen. Wichtig ist, dennoch zu akzeptieren, dass es Probleme gibt,
die sich nicht so einfach entziffern und durchschauen lassen –
sowohl für Betroffene als auch für Angehörige.
An
diesem besagten Donnerstag lag ich also so rum, in meinem Bett. Ich
wusste, dass mein Tagesplan Aktivität von mir forderte. Ich
hatte einen Termin, der immer näher rückte, doch diese Tatsache
allein reichte nicht aus, um aufzustehen. Stattdessen führten ein
paar Synapsen in meinem Kopf eine handfeste Diskussion darüber, was
als nächstes passieren sollte. Je später es wurde, desto
unzufriedener war ich mit der Situation: Ich hatte ein schlechtes
Gewissen, nicht aufzustehen, doch ich wusste auch nicht, warum es
nicht funktionierte.
Zudem
musste ich pinkeln. So dringend, dass mir völlig klar war, es würde
bald anfangen zu schmerzen. Doch die Toilette schien kilometerweit
entfernt, genau wie die Realität. Denn was sollte real sein
an dieser Situation? Sie ließ sich nicht mehr bewusst greifen,
entglitt mir immer wieder durch die Finger. Ich war kaputt, müde und
energielos.
Gedanken
vs. Körper vs. Realität
Ich
erinnere mich, wie ich mir bewusst machte, dass sich meine Gefühle
bessern würden, hätte ich erst einmal das Haus verlassen. So ist es
meistens. Sollte ich hingegen liegen bleiben, verpasste ich einen
wichtigen Termin. Und das – das war mir klar – würde
Konsequenzen haben. Solche, die ich nicht gebrauchen konnte. Dafür
aufzustehen, das schaffte ich an diesem Tag dennoch nicht.
Die
Diskussion, die verschiedene Teile in mir führten, dauerte insgesamt
fünf Stunden. Ich durchbrach diesen Teufelskreis nur,
weil ich nicht ins Bett machen wollte. Denn das hätte bedeutet, dass
ich mich nicht wieder hätte hineinlegen können… Eine
schockierende Wahrheit, die ich nicht verstehe, die mir aber
wenigstens bewusst ist.
Warum
das, verdammt noch mal, nicht für jeden nachvollziehbar ist? Liegt
auf der Hand, oder? Ich kann doch nicht von anderen Verständnis
erwarten, das ich selbst nicht aufbringen kann. Das, was sich
abgespielt hat, ist so abstrus, so fern jeder Logik, dass ich es
selbst nicht verstehe – obwohl ich Protagonistin dieses traurigen
Schauspiels war. Es fühlte sich an, als würde ich die Kontrolle
sowohl über meine Gedanken als auch über meinen Körper verlieren.
Zumindest kann ich mir nicht erklären, warum sich mein Bein nicht
seitwärts aus dem Bett bewegte, als ich es darum gebeten habe.
Die Gefühle, die mich an diesem Morgen begleiteten, spielten die Hauptrolle in meinem persönlichen Drama. Sie waren kaum auszuhalten und füllten den Raum mit Lethargie und Verzweiflung. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich besser fühlen würde, wenn ich aktiv werde, war hoch – und doch erschien es mir unmöglich, mich zu bewegen. So als wäre ich gefesselt, als würde ich keine Luft mehr bekommen aufgrund des Drucks, der sich schwer auf mich legte. Jedes Wort, das ich verwende, um diesen Zustand zu beschreiben und greifbar zu machen, würde seinen Zweck nicht annähernd erfüllen.
Am
späten Nachmittag dieses Tages zog ich mich an, weil ich verabredet
war. Der Unterschied war, dass sich jemand auf mein Erscheinen
verlassen hatte. Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit
verändert die Situation, wenn ich nicht mehr die einzig Involvierte
bin. Nachdem ich mich fertig gemacht hatte, saß ich eine weitere
Stunde auf meinem Bett und drohte, niemals wieder aufzustehen. Erst,
als ich mir lange genug sagte, dass jemand auf mich wartet, stand ich
auf und fuhr los.

Als
ich danach mit dem Auto nach Hause fuhr und einen Parkplatz fand,
wiederholte sich das Spiel. Insgesamt saß ich knapp 2,5
Stunden in meinem Auto und beobachtete regungslos die Menschen, den
Verkehr und die untergehende Sonne. Erst, als ich zur Toilette
musste, stieg ich langsam aus und stapfte nach oben in meine Wohnung.
Außenwirkung
– ein halboffener Umgang
„Wo
warst du gestern?“, fragte man mich am nächsten Tag. Und obwohl
ich einen offenen Umgang mit meiner Erkrankung pflege, habe
ich diese Frage nicht wahrheitsgemäß beantwortet. Nicht, weil ich
mich dafür schämte, sondern weil ich keine Energie hatte, etwas zu
erklären, das mir doch selbst so fremd erschien.
Zudem
ist es so, dass ich mir die Depression nicht ins Gesicht
tätowiert habe. Damit meine ich: Ich laufe nicht (mehr) durch die
Gegend und lebe meine inneren Gefühle jederzeit sichtbar aus. Die
letzten Jahre habe ich gelernt, mein Innenleben in den meisten
Situationen auch innen zu lassen. Nicht, um zu verdrängen, sondern
einfach, weil es mir mit dem privateren Umgang (außerhalb des Internets
zumindest) besser geht. Und auch, weil dieser den Menschen in meiner
Umgebung leichter fällt. Früher konnte ich das nicht: Ich weinte
viel und stieß andere Menschen fern, weil ich sie, so weiß ich
heute, natürlich auch mit der Situation überforderte. Das
passierte nicht absichtlich, doch so weitergehen konnte es auch
nicht. Deshalb war es harte Arbeit und dauerte sehr lange, bis ich
zumindest nach außen hin stabiler wirkte.
„Das
sieht man dir gar nicht an“, ist eine Reaktion, die ich seitdem öfter zu hören bekam, wenn ich doch mal über Schwierigkeiten und
Probleme erzählte. Das ist okay. Ich finde es gut, dass ich einen
Weg gefunden habe, einen Alltag zu führen, der einen Fokus auf meine
Person zulässt, ohne dass dieser ständig durch meine Erkrankung
definiert ist oder überdeckt wird. Allerdings muss ich bei einem
halboffenen Umgang eben auch damit rechnen, öfter mit Unverständnis
konfrontiert zu werden. Denn manche Informationen lassen sich für
Bekannte auch schlechter vereinbaren mit der Person, die ich nach
außen trage.
Das
hat viel mit den Erwartungen und Vorstellungen von Verhaltensweisen
und Äußerlichkeiten zu tun, die viele von depressiven Menschen
haben. Die persönliche Wahrheit scheint sehr streng an das geknüpft zu sein, was
man sieht. Sei es ein Blut- oder Röntgenbild, eine Träne oder ein
Gesichtsausdruck. Das ist „menschlich“, auch wenn ich das
Wort nicht mag. Deshalb ist es eben auch so schwierig, Aufklärung
hinsichtlich psychischer und in gewisser Weise unsichtbarer Erkrankungen wirksam zu betreiben. Aber das ist ein Fass, das ich bereits in
anderen Beiträgen aufmachte.
Ich
glaube, dass psychische Erkrankungen niemals an den Punkt gelangen,
an dem sie wie ein gebrochenes Bein behandelt werden. Einfach,
weil Gefühle so individuell sind und sie sich manchmal
außerhalb des Logikbereichs austoben. Deshalb habe ich mir
abgewöhnt, immerzu Verständnis zu erwarten für eben solche
Situationen, die jener ähneln, die ich hier beschrieben habe. Nur
auf Akzeptanz – auf die verzichte ich nicht.
Und
die Moral von der Geschicht‘: Mir fällt kein guter Reim ein...
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